„Dança Doente“ von Marcelo Evelin.

„Dança Doente“ von Marcelo Evelin.

Destabilisierte Körper in einer abgedunkelten Welt

Der brasilianische Choreograf Marcelo Evelin & Demolition Inc. mit „Dança Doente“ bei Tanz im August

Marcelo Evelin, der selbst mit den anderen neun PerformerInnen auf der Bühne steht, sucht in "Dança Doente" (Kranker Tanz) nach Bewegungen, die ansteckend sind und zugleich eine Vorahnung des Todes mit sich bringen.

Berlin, 02/09/2017

Man verfolgt die leisen Regungen der TänzerInnen am Bühnenrand des abgedunkelten Raumes. Wie die Zuckungen eines Schlafenden, eines Komatösen wachsen sie langsam zu krampfenden Bewegungen an, die die Grenzen aller Gelenke bis aufs Äußerste herausfordern und erst zum Ende des Stückes ein wenig Entspannung erfahren. Die Arme heben sich über den Kopf, mit abgewinkelten Händen balancieren die TänzerInnen auf ihren Fußballen und machen einen motorisch-wackeligen Eindruck. Die Augen halten sie geschlossen wie in Trance. Oder man sieht nur das Weiße der Augen, einem epileptischen Anfall gleich. Eine riesige, gemäldeartige Steinwand halbiert die rechte Bühnenseite, gibt in einzelnen Szenen nur die schwarz bestrumpften, wankend-zuckenden Beine der PerformerInnen frei und lässt zuweilen Club-Assoziationen auftauchen.

Die Dunkelheit zieht sich auch hier, wie in anderen Stücken des brasilianischen Choreografen Marcelo Evelin, durch den Abend und spiegelt zum einen die Auseinandersetzungen mit dem radikalen und tabubrechenden Butoh des Tänzers Tatsumi Hijikata, der den Tanz als einen der Finsternis bezeichnete, zum anderen den Namen der Kompanie „Demolition Inc.“, der an das Actiongame strategischer Zerstörung erinnert. Die Kompanie versammelt seit 2012 in familiärer Atmosphäre TänzerInnen aus den Niederlanden, Brasilien und Japan und eröffnete zusammen mit dem Choreografen in Teresina, Brasilien, das Kulturzentrum „Núcleo do Dirceu“. Dort lebt der Choreograf wieder seit 2006, nachdem er länger in Europa weilte und mit der Kompanie eine Artist-in-Residence am Hetveem Theater in Amsterdam innehatte.

Marcelo Evelin, der selbst mit den anderen neun PerformerInnen auf der Bühne steht, sucht in seinem „Kranken Tanz“ nach Bewegungen, die ansteckend sind und zugleich eine Vorahnung des Todes mit sich bringen. Ansteckend ist dabei leider hauptsächlich die angespannte Langeweile, welche, statt die abstrakt-absurden Bewegungen in den Vordergrund zu stellen, sie in den Hintergrund der provokativen Langatmigkeit und des stagnierenden Bühnengeschehens drängt. Das Ende hat es dennoch in sich, wenn sich die Bühne nach und nach leert, hinter dem herabhängenden ‚Gemälde’ läuft eine Frau in durchsichtigem Schwarz – nur ihre Beine sind sichtbar – im Kreis. Alles schwindet, bis der letzte Tänzer ausschließlich im weißen, spitzenbesetzten, bodenlangen Rock den Sound ausschaltet und seine Ukulele hebt, um in nervenzerreißender Slow Motion die weißen Catwalk-Bahnen entlang bis zum Bühnenende zu streifen und dabei immer wieder, von Stille unterbrochen, die Seiten anschlägt. Hier tritt die bildliche Gewalt des Abends hervor, die zusammen mit der Dramaturgie des Sounds und der Komposition von Licht und Kostüm entstehen konnte.

Und erst an diesem Punkt fängt man wirklich an die Spannungen im Publikum zu registrieren, das Seufzen, das Hin-und Herrücken wahrzunehmen und hier und da ein paar geschlossene Augen zu erspähen.

Im Gesamtkonzept des Stückes erscheint einem das dann trotzdem zu wenig, zu abstrakt, zu absurd und auch wenn sich zwei halb-nackte Männer zum Ende küssen, beißen, lutschen, bumsen... bleiben mehr Fragezeichen als tatsächliche Provokationen übrig. Denn die ZuschauerInnen sitzen seit gefühlter Ewigkeit auf ihren Stühlen fest. Bei Evelins „Suddenly Everywhere is Black with People” gab es keinen Schutz für BesucherInnen und kein Entkommen, sie befanden sich mit auf der abgedunkelten Bühne und waren gezwungen zu wählen: mit einsteigen, sich zurückhalten, den Raum durchstreifen, das Stück verlassen. Hier aber sitzt man fest an seinem Platz, rutscht unruhig hin und her, um sich dann wieder ein Detail in den skurrilen, dauerverkrampften Bewegungen zu suchen, wo Faszinierendes zu entdecken ist.

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