„Dakhla“ von Abou Lagraa.

„Dakhla“ von Abou Lagraa.

Electric Boogie und weiße Rosen

Abou Lagraa mit „Dakhla“ als deutsche Erstaufführung bei den Ruhrfestspielen

Angesichts heutiger Erfahrungen mit der vital vielschichtigen HipHop-Szene kam der Electric Boogie der 1980er Jahre, ‚veredelt’ durch aktuellen Bühnentanz, zu eindimensional daher.

Marl, 01/06/2017

Für Abou Lagraa ist Tanz synonym „für Freiheit und Begegnung“. Seit 1997 hat der arabisch stämmige, französische Choreograf rund 30 Choreografien mit seiner kleinen Truppe „La Baraka“ (arabisch für „eine Chance haben“) einstudiert. In der mittelalterlichen Kirche Sainte Marie von Annonay bei Lyon, Lagraas Heimat, haben sie neuerdings ihr Domizil und touren weiterhin international. Im Rahmen der Ruhrfestspiele Recklinghausen ging die Deutschlandpremiere von „Dakhla“ über die Bühne des Theater Marl. Der Name der marokkanischen Hafenstadt am Atlantik bedeutet „Tor zur Freiheit“. Das passt wohl zum diesjährigen Motto der Ruhrfestspiele „Kopf über - Welt unter“. Man weiß ja inzwischen auch hierzulande nur zu gut, dass das (vermeintlich) rettende Tor selten aus dem lebensbedrohenden Chaos ins erhoffte Paradies führt. Dennoch berührt der positive Tenor dieser weitgehend abstrakten Choreografie.

Technisch begegnen sich HipHop-Szene und zeitgenössischer Tanz neoklassischer Provenienz. Faszinierend ist die minutiöse Präzision kleinster Zuckungen oder ausladender Beugungen und Streckungen, das irre Tempo gefolgt von atemlosem Verharren, der fliegende Wechsel von synchronen Gruppenformationen mit betont gegenläufigen ‚Clustern’. Mal wie ferngesteuerte Roboter, mal wie ungelenke Marionetten huschen die beiden zierlichen Tänzerinnen und die zwei so gegensätzlichen Tänzer - ein muskelbepackter, riesiger Boxertyp und ein zarter, eleganter Ballerino - im Mosaik aus minimalen Szenen über die meist düstere, kahle Spielfläche, die nur durch eine hell leuchtende Öffnung in der schwarzen Begrenzung unterbrochen wird - das immer schmaler werdende Tor zu Freiheit, Gleichheit, Zukunft in Hafenstädten wie Algier, New York oder Hamburg.

Manche Zuschauer waren offensichtlich vom lauten, stark repetitiven wummernden Beat der Klangkulisse aus Pop, arabischer Folklore und minimalistisch-motorischer Elektronik genervt. Auch kam der Electric Boogie, der seine Blütezeit ja in den 1980er Jahren hatte, angesichts heutiger Erfahrungen mit der vital vielschichtigen HipHop-Szene, zumal dezent ‚veredelt’ durch aktuellen Bühnentanz, zu eindimensional daher. Dennoch endete die einstündige Aufführung mit lang anhaltendem Applaus für die Gäste, die ihrerseits mit entwaffnend strahlendem Lächeln dankten und die ihnen vom Theater überreichten langstieligen weißen Rosen ins Parkett warfen. Eine sympathische menschliche Begegnung!

 

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