„Café Müller“ von Pina Bausch.

„Café Müller“ von Pina Bausch.

Das „Café Müller“ und die Folgen

Der dreiteilige Ballettabend „Hope“ in Antwerpen

Bausch, Graham und eine Uraufführung von Annabelle Lopez Ochoa - ein bemerkenswerter Abend, der Fragen offen lässt.

Antwerpen, 30/05/2017

Wieder einmal hat das Ballet Vlaanderen nach dem großen Erfolg mit „East“ zu einem dreiteiligen Abend eingeladen. „Hope“ heißt der neue Abend, der am 26. Mai im Opernhaus von Antwerpen seine Premiere feierte und schon wegen der drei ausgewählten Stücke großes Interesse weckt. Die Belgische Kompanie mit ihrem künstlerischen Direktor Sidi Larbi Cherkaoui durfte als erste, fast 40 Jahre nach der Wuppertaler Uraufführung, „Café Müller“ von Pina Bausch einstudieren. Allein dies ist ein Grund, die Aufführung zu sehen.

Auf Pina Bauschs „Kultstück“ – damals zusammen mit ihrer speziellen Sicht auf Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ zu sehen, folgt jetzt in Antwerpen „Cronicle“ von Martha Graham aus dem Jahre 1936, über 40 Jahre älter als „Café Müller“ und aus heutiger Sicht wesentlich problematischer in eine zeitgemäße Beziehung zur Gegenwart zu setzten. Zum Abschluss eine Uraufführung der Belgisch-Columbianischen Choreografin Annabelle Lopez Ochoa: „Ecdysis“ zur Musik von Henryk Górecki, in einer Fassung für kleines Orchester, aus dem für das Kronos Quartett geschriebenen zweiten Streichquartett „Quasi una Fantasia“. Stark präsent ist besonders der zweite Satz mit seinem Wechsel von nachdenklichen und meditativen Passagen zu rhythmisch vorantreibenden, geradezu den Tanz fordernden, wie auch der vierte Satz mit dem berühmten Allegro und dem darauf folgenden „Sempre con grande Passione e molto Marcato“.

Unter der Leitung von Daniel Inbal setzen die Musiker des Orchesters der Opera Vlaanderen bemerkenswerte Akzente. Dagegen verblasste dann der musikalische Eindruck den Wallingford Rieggers Musik zu Martha Grahams Kreation vor allem wegen der über weite Strecken schmetternden, blechernen Militanz hinterließ, doch recht stark. So blieb am Ende des mit seinen Stücken jeweils beeindruckenden Abends doch die Frage, ob die Zusammenstellung der Werke dramaturgisch überzeugen kann, vor allem in einer Abfolge, in der Pina Bauschs „Café Müller“ zu Beginn gezeigt wird.

Allein optisch nimmt diese Arbeit eine besondere Stellung ein. Es wird kein Orchester benötigt, die Musik wird zugespielt, das Bühnenbild der originalen Ausstattung von Rolf Borzik reicht bis an die erste Reihe im Parkett des Opernhauses. Das Café Müller gab es wirklich und es heißt, Pina Bausch habe schon als kleines Mädchen hier, in unmittelbarer Nähe zu ihrem Elternhaus, Tanzschritte probiert. In ihrem Stück von 1978 setzt sie diesen Erinnerungen ein Denkmal, wenn auch ein trauriges.
Es gibt längst keinen Kaffee mehr oder etwa süße Sachen in diesem verlassenen Café mit seinen umgestürzten Stühlen, mit den beiden Türen links und rechts oder der Glastür an der hinteren Wand, hinter der sich jene Drehtür für die wie eingeschlossen wirkenden Menschen auf ihren Endlosdrehungen um eine nicht mehr auszumachende Mitte befindet.

In Antwerpen auf der Opernbühne wird dieser Raum zum Alptraumgefängnis von Menschen, die an ihren Erinnerungen wie an nicht lösbaren Rätseln ihrer Existenzen zu zerbrechen drohen. Sie stolpern und stürzen, sie prallen ab voneinander, sie tänzeln und stöckeln durch den Raum. Da kann ein Darsteller noch so eifrig die umgestürzten Stühle aus dem Weg räumen, die Darstellerin weicht jeder noch so kleinen Möglichkeit der Freiheit aus. Da kann ein anderer Darsteller alle Kraft aufwenden und höchsten körperlichen Einsatz, es lässt sich zwischen einer Frau und einem Mann keine Beziehung, geschweige denn Nähe erzwingen, die Frau entgleitet, stürzt unsanft zu Boden, später werden sich beide mit sonderbar anmutender Lust am Schmerz gegen die Wände schleudern, so dass es kracht. Und jene einsame Frau, einst Pina Bausch selber, jetzt in Antwerpen die wunderbare Tänzerin Joëlle Auspert, die sich an der Wand entlang tastet, stürzt und stolpert und dann, wenn wie von historischen Aufnahmen zugespielt, die klagenden und erinnernden Gesänge aus Henry Purcells Opern „The Fairy-Queen“ oder „Dido and Aeneas“ von Ferne erklingen, für Momente in diese wunderbare Freiheit der Leichtigkeit des Seins tänzerischer Bewegungen gelangt.

Die Tänzerinnen und Tänzer Nancy Osbaldeston, Shelby Williams, Gabor Kapin, James Waddell und Laurie McSharry-Gray entgehen der Nachahmungsfalle, stellen sich anhand der Vorgaben von Pina Bauschs Choreografie mit ihren jeweils persönlichen Ausstrahlungen diesem Kampf mit den Erinnerungen, die sie in die Rätselhaftigkeit ihrer Existenzen führen. Man kann sich der emotionalen Berührung dieser Vergeblichkeiten scheiternder Begegnungen im „Café Müller“ auch im Jahr 2017 nicht entziehen.

Anders ist das bei „Cronicle“ von Martha Graham. Hier will es bei besten tänzerischen Leistungen nicht gelingen, durch die Staubschicht zu dringen, die sich über diese Kreation gebreitet hat. Im ersten Teil, „Spectre-1914“ fasziniert Aki Saito mit jener berühmt gewordenen Choreografie für eine Tänzerin und ein Kleid, dann gemeinsam mit der Solistin Acacia Schachte auch in den Teilen II und III, „Steps in the Street“ und „Prelude to Action“ mit unterschiedlich konzipierten Gruppen von elf Tänzerinnen, deren vom Ausdruckstanz grundierte, tänzerisch auch sehr anspruchsvolle Bewegungsvarianten voller Kraft sind, und dennoch seltsam fern bleiben.

Dass es Annabelle Lopez Ochoa bestens vermag, den Vorgaben der Musik zu folgen und tänzerische Abläufe zu kreieren, in denen sich neoklassische Ansprüche mit zeitgenössischem Ausdruck mischen, stellt sie eindrücklich in der abschließenden Choreografie „Ecdysis“ unter Beweis. 13 Tänzerinnen und Tänzer in einer Gruppe, Männer und Frauen gleich gekleidet, zu speziellen Wesen durch comicartige Irokesenfrisuren gestaltet, zunächst in großer Nähe dicht beieinander unterm Licht einer einsamen Glühbirne auf der ansonsten leeren Bühne. Stärker überzeugen ihre vier Duos für Aki Saito und Wim van Lessen, Maria Seletskaja und Teun van Roosmalen, Fiona McGee und Daniel Domenech, Nini de Vet und Claudio Cangialosi, sowie ein Trio für Anasatsia Paschali, Teun von Roosmalen und Viktor Banka. Immer wenn die Choreografin den starken, rhythmischen Vorgaben der Musik folgt, in den Duetten, im Trio, und auch in den Vermischungen der Gruppen, dann erlebt man so etwas wie Tanz pur in bester Musikalität und der Spitzentanz erscheint als höchst angemessenes Mittel. In verlöschender Melancholie klingt diese Arbeit aus, und es stellt sich die Frage, ob der tänzerische Aufbruch in den starken Szenen zuvor ein beabsichtigtes Missverständnis war.

Am Ende bleibt der Anfang in stärkster Erinnerung, „Café Müller“ von Pina Bausch mit den Tänzerinnen und Tänzern des Ballet Vlaanderen und die schwer zu beantwortende Frage, ob dies der Reihenfolge geschuldet war oder doch daran lag, dass sich nur schwer andere Stücke finden lassen, die einer solchen Korrespondenz standhalten können.

 

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