Mary komm bald wieder, bald wieder zurück...

Villa Wigman für TANZ e. V. startet ein neues Projekt

Mit dem geplanten Projekt „Bautzner Straße 107, PAST Present Future“ will der vor einem Jahr gegründete Verein Villa Wigman für TANZ e.V. die ehemalige Schule von Mary Wigman in Dresden wiederbeleben.

Dresden, 10/05/2017

Ob dieses, in seiner Konzeption beeindruckende Projekt jedoch auch wirklich in jener Dresdner Villa, Bautzner Straße 107, dem einstigen Zentralinstitut aller Wigman-Schulen, hier 1920 als Tanzschule von Mary Wigman begründet und bis 1942 von ihr geführt, auch stattfinden kann, steht noch nicht fest. Zwar wird die auch als Spielstätte der Sächsischen Staatsoper bekannte „kleine szene“ längst nicht mehr bespielt und mit Beginn dieses Jahres auch nicht mehr als Probebühne der Oper genutzt, aber für mehr als einen „Tag der offenen Tür“ konnte der vor einem Jahr gegründete Verein „Villa Wigman für TANZ e.V.“ diese Dresdner Villa noch nicht nutzen.

Mary Wigman und Dresden, Impulse, die von hier aus in die Welt gingen, weiter getragen durch ihre Schülerinnen und Schüler, kurioserweise bis an den Broadway, denn die Wigman-Schülerin Hanya Holm schuf die Choreografien für die Welterfolge „My Fair Lady“ und „Kiss me Kate“, sollen nun in ihren historischen Kontexten befragt werden. Was bleibt vom Deutschen Ausdruckstanz, was nicht, was gibt Anregungen für gegenwärtige Tanzästhetik, was ist altbacken oder endlich doch der Gnade des Vergessens zu überlassen, oder was ist an Wigmans Tänzen wirklich geprägt von der „Aggressivität einer kolonialisierenden Nation“, in der sich das „Image Barbarossas, an dem Deutschland noch immer festhält“, zeige, wie die amerikanische Tänzerin und Choreografin Martha Graham 1973 in der New York Times sagte.

Mit dem Tanzarchiv in Leipzig, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main, der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig und dem Dachverband Tanz Deutschland, als Kooperationspartnern, präsentiert der Verein Villa Wigman für TANZ e.V. ein Projekt in drei Phasen über einen Zeitraum, der bis zum Frühjahr 2018 geplant ist. Unter dem Motto, „Bautzner Straße 107, PAST Present Future“ will man zunächst „das Bewusstsein für den tanzhistorisch bedeutenden Ort und sein pädagogisch-künstlerisches Erbe“ schärfen. Dazu gibt es schon im Juni eine Arbeitstagung und ein Laboratorium. Für einen öffentlichen Vortrag konnte der Verein die renommierte Kölner Tanzhistorikerin Hedwig Müller gewinnen, deren Mary-Wigman-Biografie von 1986 zu den wichtigen Publikationen gehört. „Vom Pferdestall zum Weltruhm des Tanzes“, so der öffentliche Vortrag von Hedwig Müller, am Sonnabend, 25. Juni, 19.00 Uhr.

Interessant dürfte auch ein anschließendes Podium sein, u.a. mit Katharine Sehnert, einer ehemaligen Wigman-Schülerin und der Dresdner Tänzerin und Choreografin Katja Erfurt, als Vorsitzende des Vereins. Darauf folgen noch im Juni Meisterkurse mit der Choreografin Susanne Linke, die auf ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Mary Wigman zurückgreifen kann und mit Irene Sieben, die ebenfalls aus eigener Erfahrung auf die „Tänzerischen Übungsstunden“ zu Zeiten Mary Wigmans zurückgehen kann.

In einer zweiten Projektphase, im Herbst dieses Jahres, zeigen Katja Erfurt, Johanna Roggan, Anna Till aus Dresden und Isaac Spencer aus Worcester, Massachusetts, Absolvent der Walnut Hill School und der Juilliard School, Tanzuraufführungen unter dem Motto „Kreis, Dreieck, Chaos - Die Tänze der Mary Wigman heute“, das sind dann - so in der Ankündigung - garantiert keine Rekonstruktionen. Diese Phase des Projektes wird begleitet von einem Fachtag der Darstellenden Künste, hier macht sich besonders Johanna Roggan stark, wenn es um die Arbeitsbedingungen freier Künstlerinnen und Künstler in den neuen Bundesländern geht. Wie neu sind denn diese Bundesländer nach knapp 30 Jahren immer noch?

Und in einer geplanten dritten Phase, im Frühjahr 2018, sollen dann sowohl künstlerische als auch pädagogische und tanzpolitische Schlussfolgerungen einer breiten Öffentlichkeit nicht nur in Seminaren und Workshops, sondern vor allem mit Interventionen im Stadtraum von Dresden vorgestellt werden.

Das ist die eine Sache. Das ist eine gute Sache, zweifellos. Aber darüber und bei allem Optimismus der Initiatorinnen und Initiatoren, der Förderer, vor allem der Bundeskulturstiftung im Rahmen ihres letztmals aufgelegten Programms „Tanzfonds Erbe“, sollte man endlich den Mut zum Blick auf die weniger erfreulichen Seiten der Geschichte haben. Man sollte die Augen nicht mehr verschließen davor, wenn da Dinge zum Vorschein kommen, die mehr als entschuldbare und der Zeit geschuldete Schatten auf das Verhalten von Mary Wigman in Nazideutschland werfen. Diese braunen Schatten sollten nicht zuletzt im Hinblick auf Möglichkeiten der Bezüge für die gegenwärtige Tanzszene, natürlich nicht nur in Dresden, erforscht werden, bestenfalls sollten sich auch daraus neue Möglichkeiten zeitgenössischer Tanzformen und Choreografien entwickeln lassen.

Dabei wird die Auseinandersetzung mit den Ikonen des Deutschen Ausdruckstanzes, zu denen Mary Wigman auf jeden Fall zählt, auch in ihren zeitgeschichtlichen Einbindungen und vor allem im Hinblick auf ihre „Verbeugung vor dem nationalsozialistischen Trend“, so Walter Sorell, 1986 noch in aller Vorsicht formulierend, in „Mary Wigman - Ein Vermächtnis“, unvermeidbar sein. Und vor allem, im gegenwärtigen Kontext von Diskussionen um Kunst und nationales Bewusstsein müsste es spannend sein zu erforschen, wie sich verbale Bekenntnisse, etwa in Wigmans Vorwort zu ihrem Buch „Deutsche Tanzkunst“ von 1935, in dem sie vom „Anruf des Blutes“, spricht, „der an uns alle ergangen ist“ und die Fragen stellt, „was ist deutsch? Worin liegt das Ureigentliche deutscher Kunst beschlossen?“, als existenziell bedingte oder aus Überzeugung gemachte Äußerungen handelt.

Zudem, Mary Wigman wollte weg von Dresden. In Dresden sah sie, „ihre Autorität als führende deutsche Tänzerin“ nicht als sicher genug an, so die Tanzwissenschaftlerin Marion Kant in der Dokumentation „Tanz unterm Hakenkreuz“. Für Wigmann war Dresden „künstlerisch eine sterbende Stadt“, außerdem werde ihr hier immer wieder der Vorwurf der „Internationalität“ gemacht, obwohl sie sich immer, „nur als Deutsche gefühlt habe“. Kurz, sie wollte schon 1937 nach Berlin und hätte am liebsten ihre Schule in Dresden, auf der Bautzner Straße, verkauft, für einen geschätzten Wert von 60.000 bis 65.000 Mark, an das Reichspropagandaministerium, um dann daraus ein Erholungs- oder ein Mütterheim zu machen.

Nein, sie solle lieber in Dresden bleiben, so der Präsident der Reichstheaterkammer, am 8. Juni 1937, an Frau Wigman. In Berlin seien die Verhältnisse im Hinblick auf den Deutschen Tanz zwar ungesund und man wolle da durch die Einrichtung der Meisterstätten für Ordnung sorgen und so erfahrungsreiche wie besonnene Persönlichkeiten heranziehen, zu denen man in den höheren Gefilden der nationalsozialistischen Kulturpolitik Mary Wigman aber wohl schon nicht mehr zählte, sie habe ihre Aufgabe in Dresden, einer der großen Kunststädte in deutschen Gauen, hier solle, „eine neue Blütezeit auf den verschiedenen Zweigen deutscher Kunst“, einsetzen.

Immerhin, man sollte davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund solcher Erkenntnisse, deren Dokumente zugänglich sind, der rührige Verein immerhin in seinem Namen nicht den Namen der Schulleiterin mit großen Buchstaben präsentiert, sondern der „TANZ“ großgeschrieben wird. Ach so, eine Frage stellt sich doch noch, warum gibt es bislang, jedenfalls in der Präsentation dieses inhaltlich und zeitlich geplanten Projektes, keinen Hinweis auf Kooperationen oder Zusammenarbeit mit der Dresdner Hochschule für Tanz, immerhin war Grat Palucca, nach der die Hochschule benannt ist, Schülerin von Mary Wigman.

Informationen: www.villa-wigman.de

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