„Les Enfants Terribles“ - Tanzoper von Philip Glass; Choreografie von Yuki Mori

„Les Enfants Terribles“ – Tanzoper von Philip Glass; Choreografie von Yuki Mori

Eine Tragödie auf der Ganzen Linie, aber mit Gefühl

Pick bloggt über Yuki Moris „Les Enfants Terribles“ am Theater Regensburg

Es lebe die so oft gescholtene Provinz, in die man sich öfter verirren sollte, rät Günter Pick.

Regensburg, 16/03/2017

Yuki Mori hat das Sujet des schon vor Jahrzehnten entstandenen Romans „Les Enfants Terrible“ von Jean Cocteau, das sicher auch mit der eigenen verkorksten Vergangenheit von Cocteau zusammenhing, choreografiert oder besser inszeniert. Die Version als Tanzoper von Philipp Glas aus dem Jahr 1996 ist für Regensburg wohl neu. Der gleichnamige Film von Jean-Pierre Melville von 1950, der auf die damals noch sehr rigide katholischen Einstellung Frankreichs traf und auch bei uns ein ziemlicher Hammer war, wird wohl auch in Regensburg für Aufsehen und Kopfschütteln gesorgt haben.

Ich war das erste Mal in Regensburg Ende der sechziger Jahre, weil dort ein Ballettchef gesucht wurde und der Intendant zu einem Gespräch einlud. Die ganze Atmosphäre war noch sehr „nachkriegsmäßig“, auch das Theater, das heute wieder ein Schmuckkästchen aus der Blütezeit der Familie von Thurn und Taxis ist. Und wenn ich mich nicht sehr irre, gehört es ihr auch heute noch, so wie den Wittelsbachern in der Bayerischen Staatsoper eine Loge. Kurz und gut, wir lehnten nach dem Gespräch aus vielerlei Gründen ab. (Wir, das waren Hans Pop und seine Frau Hiltrud, die dann nach Wuppertal zu Pina gingen, und ich.) Heute ist Regensburg eine Universitätsstadt, man ist nicht mehr so verklemmt wie damals und es gibt ein Nachtleben – genauso wie sich Frankreich seit damals verändert hat.

Alles begann in Paris, wo die 1968er-Revolte ihren Anfang nahm. Und genau diese aufmüpfigen Kleinbürger beschreibt schon vierzig Jahre vorher Cocteau – mit all ihren Sehnsüchten, die aber allesamt verboten waren. Der Inhalt ist schnell erzählt: Die herangewachsenen Geschwister Paul und Elisabeth leben immer zusammen in einem Zimmer bei ihrer Mutter, können nicht miteinander, aber erst recht nicht ohne die andere Hälfte. Man braucht eigentlich nicht viel Fantasie, um zu ahnen, wie eine solch andere „Kabale und Liebe“ endet.

Die Musik von Glass ist für drei Grand Pianos geschrieben, für ein zeitgenössisches Werk fast zu schön und wird hervorragend interpretiert durch Christine Lindermeier, Levente Török und Satomi Nishi. Auch deshalb hat das Publikum mit den vier SängerInnen (Matthias Wölbisch, Anna Pisareva, Judith Beifuß und Yinjia Gong), die französisch singen, kein Verständnisproblem. Es gibt auch noch eine deutsch sprechende Stimme aus dem Off, Gunnar Blume, die erzählend eingreift oder Dinge erklärt, die nicht auf der Bühne stattfinden. Das sind nicht viele, denn die Bühnenbildnerin (Dorit Lievenbrück) hat sehr geschickt ein ziemlich zeitloses Bühnenbild mit Drehbühne, Hubpodesten und Projektionen geschaffen. Die Projektionen mit Schnee zum Beispiel sind so real, dass man leicht denkt, es hat aber für diesen Winter wirklich gereicht mit der Kälte ...

Am meisten beeindruckt hat mich der Tenor Matthias Wölbitsch, der dem Paul, einem so vielschichtigen Kerl, der als junger Flegel anfängt und als tragische Figur endet, seinen Charakter verleiht. Vielleicht ist er auch so auffallend, weil er von Yuki die meiste Aufmerksamkeit genossen hat, denn seine körperliche Ausdrucksgestaltung ist ungewöhnlich. Von den beiden Frauen hätte ich eigentlich mehr Bewegung erwartet, vor allem bei einem Choreografen wie Yuki. Aber es gibt auch nichts Negatives zu berichten, so wie sie ihre Rollen ausfüllen: Judith Beifuß als Agatha in der Doppelrolle mit Freund Dargelos zeigt großen, auch körperlichen Einsatz. Genau wie auch Yinjia Gong, der es als Gérard, als der Freund von allen, am Schwersten hat.

Es wird viel getanzt vom Anfang bis zum bitteren Ende! Und ich komme erst jetzt dazu, weil die wirklich hervorragenden Tänzer in erster Linie Teil der Ausstattung sind. Sie haben keine Rolle zu spielen, so als ob sie das nicht könnten ... Auch bei Theaterregisseuren, die nicht wissen, dass Tänzer sehr wohl Rollen spielen können und auch wollen, ist es eine Gefahr, die Tänzer „nur“ tanzen zu lassen. Sie „spielen“ in diesem Fall Atmosphärisches, allerdings auch das nicht sehr deutlich. Man kann seiner eigenen Fantasie freien Lauf lassen, was man dahinter vermuten oder denken will.

Trotzdem war ich insgesamt von allem und allen sehr beeindruckt, vor allem von den beiden Solotänzern, Alessio Burani und Harumi Takeuchi, die nach der Pause sowohl solo als auch im Duett wirklich gute Choreografie zu richtigem Leben adelten. Ich nehme an, dass ich die Richtigen erwähne, auch wenn sie im Programm nicht erkennbar sind. Die guten Fotos im Programmheft helfen ein wenig, hilfreicher war aber die Nachfrage bei Chris Mayer: guter Geist des Ensembles und rechte Hand von Yoki Mori.

Es lebe die so oft gescholtene Provinz, in die man sich öfter verirren sollte, gerade wenn nicht selbst gestrickte Libretti den Aufführungen das Thema liefern. Es ist kein Geheimnis, dass Regisseure ihrer Arbeit gute Texte zugrunde legen und damit erst recht kreativ und gut sein können!

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