„Orpheus und Eurydike“

Staatstheater Schwerin

Schwerin, 10/10/2003

Beim Pas de deux läuft Stefan Haufe, Schwerins Ballettchef, zur Hochform auf. Das Herz geht einem auf, wenn Eurydike und Orpheus, beide in blendendem Weiß, ihre innige Liebe in voneinander abgewandter Umarmung, zärtlichen Sehnsuchtsgesten, Klammer-Hebungen ausdrücken - bis die Stimmung umschlägt. Er darf die Wiedererweckte, die er aus dem Hades ans Licht führen will, nicht ansehen, sie meint, er liebe sie nicht mehr und attackiert ihn in verzweifelter Aggression. Das ist wohl der stärkste Moment in Haufes Choreographie und Inszenierung von Glucks „Orpheus und Eurydike“ (deutsch gesungen nach der französischen Fassung). Nicht zuletzt, weil Leticia J. Latronico (Eurydike) und Jesper Windisch (Orpheus) sich dabei die Seele aus dem Leib tanzen.

Den Sänger*innen hat Haufe als zweites Ich Tänzer*innen gegenübergestellt. Kontakte zwischen ihnen gibt es allerdings kaum, ganz zu schweigen von einem ständigen Miteinander. Während die Latronico und Windisch bei den Arien fast atemlose, mit Drehungen gespickte Soli vollführen, stehen ihre Sängerpendants fest verankert mal links, mal rechts auf der Bühne. Den durchwegs, auch in der Hadesszene in das gleiche Alltagsgrau gekleideten Chor, der vorzüglich singt (Einstudierung: Michael Junge), hat Haufe meist an den Bühnenrand platziert, das Tanzensemble liefert die Bewegungsform dazu. Da ist immer etwas los, als habe Haufe Angst vor dem Innehalten, aber weder im ziemlich langweiligen Elysium noch beim Furientanz, der keinerlei Schrecken erregt, zeigen sich konturierte Entwicklungen. Haufe scheut das Risiko und landet bei der Beliebigkeit.

Burlesk, manchmal geradezu albern fegt das dem Amor (sehr präsent gesungen von Katrin Sitz) zugesellte Paar, knackig getanzt von Tamae Moriyama und Jose Martínez Grau, ohne Unterlass hin und her. Dass Amor nicht nur eine „soubrettige“ Figur, sondern auch ein Gott ist, der Eurydike zwei Mal vom Tode zum Leben zurückholt, geht im Clownesken unter. Die tiefere Dimension, von Glucks Musik nachdrücklich beschrieben, bleibt im Tanz unterbelichtet. Das Bühnenbild Michael Haufes (auch Kostüme) ist sehr praktikabel in seiner abstrakten Ausrichtung mit senkrechten Stoffbahnen und farblicher Abstufung zwischen den Bildern. Nur im Elysium mit dem neckischen dreistöckigen Brunnen als Zubehör versagt das Konzept. Musikalisch ist fast nur Gutes zu berichten: Nach eher hemdsärmeliger Darbietung der Ouvertüre steigern sich Orchester und Dirigent Dietger Holm zu einer vitalen, dramatische Akzente nicht scheuenden Interpretation. Holm hört auf die Sänger, deckt sie nicht zu. Während Eveline Inès Bill die Eurydike anrührend innig singt, haut Kyung-Suk Han als Orpheus gewissermaßen dauernd auf die Pauke: Mit kernigem Bariton glättet er alles zum kraftmeierischen Einheitsbrei.

Stefan Haufe ist zwar meiner Meinung im Ganzen an „Orpheus und Eurydike“ gescheitert, dennoch scheint es mir grundsätzlich ein guter Weg zu sein, mit einer konsequent engen (!) Verbindung von Gesang, Instrumentalem und Tanz Glucks Meisterwerk heute auf die Bühne zu stellen. Als freilich hochgestecktes Vorbild könnte Joachim Schlömers „La guerra d´amor“ nach Madrigalen Monteverdis dienen. Aus Theaterkreisen war zu hören, dass Stefan Haufe nach acht Jahren zum Ende der Spielzeit das Haus verlassen wird. Trotz seiner künstlerisch imponierenden Bilanz, zu der nicht zuletzt die Pflege eines Repertoires und die Einbeziehung von Gastchoreographen gehört, wurde sein Ensemble immer mehr verkleinert. Die zukünftig noch drohenden Kürzungen mögen den letzten Ausschlag gegeben haben, aufzuhören.

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