„Sommernachtstraum“ von Stephan Thoss. Tanz: Emma Kate Tilson und Jamal Callender

„Sommernachtstraum“ von Stephan Thoss. Tanz: Emma Kate Tilson und Jamal Callender 

Die Liebe ist keine Himmelsmacht

„Ein Sommernachtstraum“ vertanzt - zum Einstand von Stephan Thoss

Wenn Thoss den Thespiskarren voranbringen will, springt er offensichtlich gerne ins Geschirr. Am Mannheimer Nationaltheater hat er die Nachfolge von Kevin O’Day und Dominique Dumais angetreten.

Mannheim, 21/11/2016

Er hätte es sich leichter machen können: mit hübsch abgeschmeckter choreografischer Häppchenkost, zum Beispiel. Oder mit dem Remake eines seiner Erfolgsstücke, die inzwischen schon eine beachtliche Liste füllen: seine Arte-taugliche „Schwanensee“-Version etwa oder die mit dem Faustpreis ausgezeichnete „Giselle M.“. Aber wenn Stephan Thoss den Thespiskarren voranbringen will, springt er offensichtlich gerne ins Geschirr. Am Mannheimer Nationaltheater hat der 51-Jährige die Nachfolge von Kevin O’Day und Dominique Dumais angetreten, die zum Abschied nach vierzehn Jahren von einer hohen Sympathiewelle des Publikums regelrecht emporgerissen wurden.

Aber vor den Zuschauern hat der neue Ballettdirektor keine Angst. In Wiesbaden – nach Kiel und Hannover seiner dritten Station als Tanz-Spartenleiter – hatte das Publikum auf die Entlassung seines klassik-treuen Vorgängers mit einer regelrechten Anti-Thoss-Kampagne reagiert. Nicht lange, und das Publikum am dortigen Staatstheater hatte sich umbesonnen oder gewandelt. Denn der Absolvent der Dresdner Palucca-Schule, der sich explizit nicht auf klassisches Ballett, sondern auf die deutsche Ausdruckstanz-Tradition beruft (Rudolf von Laban etwa oder Kurt Jooss), hat es noch immer geschafft, Tanz mit verständlichen Bedeutungen aufzuladen, ohne je auch nur in die Nähe von flacher Gefälligkeit zu kommen.

So musste sich das Tanzstück „Ein Sommernachtstraum“, mit dem sich Thoss erstmals in der Quadratestadt präsentierte, nicht nur als Charmeoffensive gegenüber dem Mannheimer Publikum bewähren, sondern auch den selbst gewählten Ansprüchen genügen – und die sind alles andere als bescheiden. Da galt es, Shakespeares Text in eine Choreografie zu fassen; ein Stück, das in Komödienform von einem tiefernsten Thema handelt: von der Liebe, die da weder als unausweichliches Naturbeben noch als reine Himmelsmacht daherkommt, sondern von einem Zwischenreich der Elfen und Waldgeister aus fremdgesteuert wird. Viele Spielarten der Liebe kommen in diesem Stück vor: romantisch, konventionell, erotisch, besessen, eifersüchtig, abhängig, komisch, derb, distanziert, nachsichtig, wankelmütig, wandelbar, reif und großzügig.

Letzteren Part hat Stephan Thoss klugerweise Zoulfia Choniiazowa überlassen, einer Mannheimer Institution und erklärtem Publikumsliebling: Die Tänzerin hat schon bei Kevin O’Days Vorgänger Philippe Talard getanzt und ist im neuen Ensemble zugleich als Ballettmeisterin und choreografische Assistentin tätig. Als Hippolyta vertritt sie zusammen mit Theseus (Joris Bergmans) den konventionellen Part der Liebe. Diesem Paar gegenübergestellt sind Oberon (Jamal Callender) und Titania (Emma Kate Tilson), zwei Liebende, die sich ganz wörtlich genommen auf Augenhöhe begegnen: in gleicher Größe, gleicher Stärke und mit hohem erotischen Drive. In diesem Spannungsfeld tummeln sich die jungen Paare, die nächtlich nach der Pfeife von Puck tanzen müssen – und den hat Thoss ganz gegen den Strich und doch erstaunlich stimmig mit dem Countertenor Alin Deanu besetzt (ausgeliehen vom Staatstheater Mainz). Der anspruchsvolle musikalische Bogen, der dieses Tanzstück zusammenhält, schnürt englische Komponisten aus unterschiedlichsten Zeiträumen überzeugend zusammen: Henry Purcell mit dem renommierten Zeitgenossen Joby Talbot und Benjamin Britten, die beide musikalisch auf den Barock-Komponisten Bezug genommen haben. Alin Deanu besingt in schmelzendem Belcanto die Liebe – und relativiert jegliches Pathos mit überraschend agiler Körpersprache.

Sechzehn Tänzer umfasst die neue Mannheimer Kompanie, so viele wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie haben alle viel zu tun an diesem zweieinhalbstündigen Abend, der durchaus exemplarisch vorzeigt, was Stephan Thoss kann: altbekannte Geschichten neu und aktuell erzählen, mit dem Anspruch nachvollziehbarer Handlungen und psychologischer Glaubwürdigkeit. Im ersten Teil hat das Stück dann doch einige Längen, nach der Pause nimmt es aber darstellerische Fahrt auf und bleibt spannend bis zum Schluss.

Zum künstlerischen Team gehörten Kaspar Zwimpfer (Bühne) und Carmen Maria Salomon (Kostüme). Ersterer hat mit verschiebbaren Versatzstücken einen höchst wandelbaren Raum geschaffen, der einen übergangslosen Wechsel zwischen Innen und Außen, Hof und Wald, hellem Tag und gespenstischer Nacht erlaubt. Die Kostüme balancieren gekonnt zwischen emotionaler Stimmungsmache und kulturhistorischen Anspielungen. Partner im Orchestergraben war Wolfgang Wengenroth als Leiter des Nationaltheater-Orchesters, der die so unterschiedlichen Klangfärbungen der Kompositionen fein herausarbeitete.

Alles in allem ein gelungener Einstand; im Beifall des Publikums klang ein Aufatmen nach großer Anspannung mit.
 

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