StopGap Dance
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It’s about quality!

Inklusion im zeitgenössischen Tanz

Eine Initiative des British Council arbeitet an einem internationalen Netzwerk für behinderte Künstlerinnen und Künstler. Dabei geht es um eine Erweiterung des Kunstbegriffs, nicht um soziales Engagement.

Düsseldorf, 17/09/2016

Langsam tastet sie sich voran, balanciert, schwankt und wirkt doch stabil. Von einer porzellanenen Teetasse zur nächsten führt der Weg der Tänzerin. Manchmal schwebt sie regelrecht über dem Boden, manchmal gibt sie der Gravitation nach – Claire Cunningham, eine der bekanntesten Tänzerinnen mit Behinderung hat eine Bewegungssprache entwickelt, die ihr mit den zwei zusätzlichen Extremitäten (Cunningham trägt Krücken) ungeahnte und überraschende körperliche Möglichkeiten gibt. Ganz im Stile des zeitgenössischen Tanzes geht Cunningham kreativ und experimentell mit ihrem Tänzerkörper um, verhandelt existenzielle menschliche Fragen ebenso wie gesellschaftliche Themen. Und doch ist es (noch) nicht selbstverständlich, KünstlerInnen wie sie, sprich Menschen mit Behinderung, im etablierten Kulturbetrieb anzutreffen. Genau das möchte die Plattform „Disability Arts International“, eine Initiative des British Council, ändern.

2013 gegründet, kurz nach einer großen kulturellen Initiative während der Paralympischen Spiele in London 2012, versucht die Plattform nicht nur die Aktivitäten behinderter Künstlerinnen und Künstler in Großbritannien zu bündeln und zu unterstützen, sondern auch ein internationales Netzwerk zu schaffen, das es ChoreografInnen, TänzerInnen und PerformerInnen, die nicht der Norm eines Tänzerkörpers zu entsprechen scheinen, ermöglicht, eine Stimme in der Tanzwelt zu bekommen. Und dabei geht es nicht um eine Form von gesellschaftlich-sozialer Arbeit, die mit ‚Community’-Projekten, angefangen bei Royston Maldoom, immer mehr auch hierzulande anzutreffen ist, nein, es geht hier um eine Hinterfragung der tradierten Bewertungskriterien im zeitgenössischen Tanz, um künstlerische Innovationen. Dass das nicht ganz zu trennen ist von politischen Implikationen, ist im zeitgenössischen Tanz nichts Neues, der in der Regel davon ausgeht, dass der Körper per se ein politischer ist.

Dass Kunst immer auch eine Relevanz für die Gesellschaft hat, ist in dem Inselstaat schon lange politisches Programm und spiegelt sich in der staatlichen Förderungspraxis, wenn fast jede Projektförderung eine gewisse Summe für kulturelle Bildung oder Diversität vorsieht. Ganz anders in Deutschland, wo inklusive Projekte fast ausschließlich über soziale Fördertöpfe laufen. Könnte man in Großbritannien dann nicht von einer optimalen Situation sprechen? Nein, sagt Ben Evans, Leiter der Abteilung für „Arts and Disability“ des British Council. Zwar sei Vieles sehr gut, vor allem auf die Situation in Schottland verweist er als positives Beispiel, da sich dort in den letzten Jahren eine eigene und äußerst kreative Szene für behinderte KünstlerInnen etabliert hat, doch es gäbe auch noch mindestens genauso viel zu tun. Aber er ist voller Hoffnung, denn er sieht heute eine neue Generation an ästhetisch hochinteressanten und qualitativ beeindruckenden KünstlerInnen heranwachsen, die mit ihrer ganz eigenen Sicht auf und Wahrnehmung von Körper unser Verständnis von zeitgenössischem Tanz erweitern können.

Und geht es nicht genau darum im zeitgenössischen Tanz? Um das Hinterfragen etablierter Konzepte von Körper, Raum, Welt und Gesellschaft? Um das Erweitern des Bewegungsverständnisses, um die Schaffung neuer Körperbilder? Hier setzt Ben Evans an, wenn er für eine qualitätsbasierte Bewertung von Künstlern wie der Candoco Dance Company, Claire Cunningham, der Stopgap Dance Company, Caroline Bowditch oder Robert Softley Gale, um nur einige zu nennen, plädiert. Diversität als künstlerisches Potenzial zu verstehen, ist dabei die Grundidee.

Dass das in der Praxis nicht immer so einfach ist, wird deutlich in dem vom British Council während der tanzmesse nrw organisierten T-Talk „Representing Difference: the aesthetics and politics of presenting different bodies on stage“, der mit Michael Turinsky, Kate Marsh und Günther Grollitsch drei KünstlerInnen mit zwei Festivalleiterinnen, Isabella Spirig (Steps und IntegrART, Schweiz) und Emma Gladstone (Dance Umbrella, Großbritannien), zusammenbringt. Alle sind sich einig, dass Projekte behinderter KünstlerInnen integriert gehören in die großen Festivals. Und dass es dabei in erster Linie um qualitätsbasierte Entscheidungen gehen sollte. Aber da ist auch das Publikum, das manchmal eine erklärende Einordnung braucht, das in vielen Kontexten erst noch herangeführt werden muss an diese Sichtweisen.

Und dann kommen wir zu einem zentralen Punkt: den Entscheidungsprozessen. Sind behinderte Tänzerinnen und Tänzer, spätestens seit den Tourneen der Candoco Dance Company, kein absolutes Novum mehr, gibt es kaum behinderte Choreografinnen und Choreografen. Und da ist Großbritannien auch noch nicht so viel weiter als der Rest der Welt. Aber genau hier entscheidet sich, ob diese KünstlerInnen als eigene und bedeutende künstlerische Persönlichkeiten abseits ihrer körperlichen Repräsentationen wahr- und ernst genommen werden. Erst wenn behinderte ChoreografInnen und TanzexpertInnen auch in Entscheidungspositionen vertreten sind, wird eine neue Dimension von Körper- und Kunstverständnis wirklich etabliert sein. Und genau daran möchte „Disability Arts International“ mit einer Reihe neuer, internationaler und netzwerkbildender Initiativen arbeiten.

Mehr Informationen unter www.disabilityartsinternational.org

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