„Die Tänzerin“

Ein Film von Stéphanie Di Giusto

Der künstlerische Selbstfindungsprozess der Tänzerin Loïe Fuller steht im Mittelpunkt des Films. Zeitgeschichtliche Kontexte rücken eher in den Hintergrund.

München, 29/06/2016

Von Brygida Ochaim

Beim diesjährigen Filmfestival in Cannes lief Stéphanie Di Giustos „The Dancer“ in der Sektion „Un Certain Regard“. Letzten Sonntag hatte das Biopic unter dem deutschen Titel „Die Tänzerin“ beim Filmfest München seine Deutschlandpremiere (dt. Kinostart 3.11.2016). Es ist Di Giustos Regiedebüt im Spielfilmbereich. Sechs Jahre lang arbeitete sie an dieser Produktion, ließ sie in einem anschließenden Gespräch wissen. Inspiriert wurde sie von einer schwarz-weiß Aufnahme, die die amerikanische Tanzpionierin und Jugendstilikone Loïe Fuller mit ihrem berühmten Serpentinentanz zeigt. Beim Drehbuch handelt es sich um eine freie Adaption von Giovanni Listas 1994 erschienener, beinahe 700 Seiten starken Biografie „Loïe Fuller, danseuse de la Belle Epoque“.

Die Hauptrolle besetzte Stéphanie Di Giusto mit der französischen Sängerin und Schauspielerin Soko, die mit der jungen Loïe Fuller eine gewisse Ähnlichkeit verbindet. In den 111 Minuten widmet sich die Regisseurin vor allem dem Werdegang der 1862 in Illinois geborenen Marie Louise Fuller. Aufgewachsen im puritanischen Amerika, machte sie bereits im Alter von 13 Jahren Propaganda für die damals im Mittelwesten verbreitete Abstinenzbewegung. Nach einer Laufbahn im Vaudeville, u. a. tourte sie mit Buffalo Bill, entwickelte sie ihre Version des schon damals beliebten Skirt Dance. Di Giustos Porträt hebt einzelne Stationen hervor wie beispielsweise die von Fuller in ihrer Autobiografie beschriebenen Hypnoseszene in dem Stück „Quack, M.S.“, mit der gewissermaßen alles begann.

Erst in Paris gelang Fuller jedoch der künstlerische Durchbruch, als sie 1892 in den Folies Bergère mit ihrem Serpentinentanz auftrat. Vor allem aber waren es ihre revolutionären Erfindungen im Bereich der Bühnen- und Lichttechnik, die ihre Aufführungen unverwechselbar machten. Mit einigem Aufwand stellt Di Giusto diese für die damalige Zeit völlig neuartigen Bühnenvorrichtungen und Lichtapparate nach. Schließlich war es Loïe Fuller, die erstmals elektrisches Licht als künstlerisches Mittel einsetzte, sozusagen als Lichtdesign, wobei die viel zu leuchtstarken Bogenlampen ihr Augenlicht gefährdeten. Sokos starke Präsenz in der Performance auf der Bühne im Schein der Projektoren gibt die Faszination, die von Fullers Inszenierungen ausgingen nur zum Teil wieder. Die Lichteffekte, die sie mit Farbfiltern und Strukturglas zum Oszillieren brachte und die von ihr auf der Bühne eingesetzten Spiegelungsvorrichtungen (allesamt patentiert), waren weit raffinierter.

Ihre Begegnung 1900 mit Isadora Duncan (Lily Rose Melody Depp) führt sie laut Drehbuch in eine Krise. Der im Film von einem Double getanzte Part der um 15 Jahre jüngeren Vertreterin der Tanzavantgarde wirkt wie ein Klischee des Modern Dance und hat wenig mit Duncans Idee eines freien natürlichen Tanzes zu tun. Ebenso die jungen Elevinnen, die Loïe Fuller um sich schart, rennen durchs Bild und turnen im Wald als wäre es ein Work-out-Programm. Dass sie dabei Schuhe tragen, wirkt geradezu anachronistisch. Zeitgeschichtliches blendet die Regisseurin aus.

Die Tänzerin und ihr künstlerischer Selbstfindungsprozess stehen für Di Giusto im Mittelpunkt. Erotisch angereichert wird die Handlung durch den allgegenwärtigen, melancholischen Dandy Louis (Gaspard Ulliel), der gegen Ende des Films Selbstmord begeht. Aus unerfüllter Liebe, die Fuller nicht erwidern kann?

 

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