„Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss

„Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss

„Der Grüne Tisch“ hat traurige Aktualität

b.27 mit Balanchine, Schläpfer und Jooss

Wieder ein in nahrhaftes Menü für Tanz-Gourmets (ganz ohne Hüftgold). Zwei Klassiker und eine neue Choreografie von Martin Schläpfer ergeben einen vielseitigen Ballettabend.

Düsseldorf, 19/03/2016

Als die Diplomaten am Ende ihrer tumultuösen Debatten die Waffen zücken und in die Luft schießen als Drohung „Also Krieg!“, klingt es wie alarmierende Warnschüsse Richtung Brüssel. Denn just an dem Abend, an dem dort die europäischen Staatschefs berieten, stritten und schacherten, ging im Opernhaus Düsseldorf die Premiere von Kurt Jooss' Antikriegsballett „Der Grüne Tisch“ über die Bühne. Selten trifft Tanz die aktuelle politische Wirklichkeit so direkt. Atemlose Stille herrschte im Saal, als „Der Tod“ in Gestalt des Kriegsgottes Mars mit roboterartiger Gestik und stampfendem Schritt durch das kriegsgeschüttelte Land schritt und reiche Ernte einfuhr. Ohne dessen gelegentliche Barmherzigkeit und Güte schleicht „Der Schieber“ in seinem Windschatten durch die Lande, grabscht mit weiß behandschuhten Händen von Toten und Lebenden, was sich in Geld und Macht umsetzen lässt.

Alles ist stilisiert und typisiert in dieser Totentanzparabel in acht Bildern, gerahmt von den disputierenden „Schwarzen Herren“ im Frack (Kostüme: Hein Heckroth mit den Masken von Hermann Markard). Kein Schritt, keine Geste ist überflüssig. Alles hat eine Bedeutung. Die Wirkung ist immer wieder enorm. Hämmernd und pochend, wild und getragen hauen die beiden Pianisten Christian Grifa und Wolfgang Wiechert Fritz A. Cohens motorische Rhythmen in die Tasten - Musik, komponiert als Doppelstrich unter den eindrücklichsten Appell eines Choreografen gegen Feindseligkeit, Habgier, Unmenschlichkeit und Gewalt.

Weil man das Ensemble des Ballett am Rhein nach nunmehr 27, meist dreiteiligen, technisch hochvirtuosen Programmen gut kennt, berührt ihre intensive Darstellung in Jooss' legendärer Choreografie von 1932 besonders in dieser Einstudierung der Jooss-erfahrenen Jeannette Vondersaar und Claudio Schellino. Als Martin Schläpfer den „Grünen Tisch“ 2004 in Mainz zeigte, lebte Jooss’ Tochter Anna Markard noch, und Jörg Weinöhl tanzte den Tod. Jetzt ist Chidozie Nzerem Der Tod, Marlúcia do Amaral Das junge Mädchen, Camille Andriot Die Frau, Yuko Kato Die alte Mutter, Sonny Locsin Der Schieber, Friedrich Pohl Der Fahnenträger, Brice Asnar Der junge Soldat, Andriy Boyetskyy Der alte Soldat.

Federleichte Freude am Tanz, inspiriert von Igor Strawinskys „Duo Concertant“ für Klavier (Alina Bercu) und Violine (Dragos Manza), zeigen Ann-Kathrin Adam und Marcos Menha in dem gleichnamigen Pas de deux von George Balanchine. Aber zum 5. Satz der Komposition verdunkelt sich die Bühne. Nur ein schmaler Lichtkegel spendet den verunsicherten Tanzenden Licht. Balanchine trauert um den kurz zuvor verstorbenen, kongenial inspirierenden Partner.

Zwischen diese beiden Meisterwerke des 20. Jahrhunderts setzt Martin Schläpfer eine eigene, neue Choreografie der heiteren Art, „Variationen und Partiten“ auf Ballettmusik von Jakob Haibel und Bachs Klavier-Partita Nr. 6 (am Klavier: Denys Proshayev). Kindlich verspielt, kokett, burlesk und natürlich mit anspruchsvollem Raffinement kommen die kurzen, ineinander spielenden Szenen daher. Man kennt das seit Schläpfers „Appenzeller Tänzen“: gelegentlich muss der Schweizer einfach seinem Humor freien Lauf lassen. Diesmal unterbricht Bühnentechnikerin Barbara Stute als „Die Andere“ in Straßenpumps und strengem schwarzen Hosenanzug das Techtelmechtel ihrer „Tochter“ mit einem Adonis - eine Hünin zwischen den drahtigen Tänzern und zarten Ballerinen.

Reihen bunter Kugeln schweben unter der dicken Metallstange vor dem rückwärtigen Vorhang aus Schnüren, die mal schwarz, mal blau schimmern und ‚-zig’ Auftrittsmöglichkeiten wie in einem Varieté bieten. Eine zweite Stange, schräg in der Rampenmitte im Boden endend, schließt die Spielfläche nach vorn ab. Immer höher wandern die hintere Stange und die bunten Kugeln, deren leuchtende Farben sich in schmalen Umrandungen der sehr eleganten, transparenten Kostüme wiederholen (Bühne: Thomas Ziegler, Kostüme: Nelly van de Velden). Wunderbar musikalisch und unterhaltsam ist diese Brücke zwischen Neoklassik und Expressionismus. Wieder ein nahrhaftes Menü für Tanz-Gourmets (ohne Hüftgold).
 

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