Mario Schröder
Mario Schröder

„Genau das musst du jetzt machen“

Mario Schröder inszeniert Mendelssohns „Lobgesang“ mit Ballett, Chor und Orchester, Samstag ist Premiere

Mario Schröder spricht über sein neues Stück und seinen Glauben an Kunst und Humanität.

Leipzig, 04/02/2016

Von Steffen Georgi

Die Uraufführung gab es am 25. Juni 1840 in der Thomaskirche. Ein Auftragswerk der Stadt Leipzig an Felix Mendelssohn-Bartholdy, anlässlich der Vierhundertjahrfeier der Erfindung des Buchdrucks. Eine Sinfoniekantate für Soli, Chor und Orchester vom Komponisten als „Lobgesang“ tituliert und jetzt, gewissermaßen selbst ein wenig lobsingend, von der Leipziger Oper als eine „Feier des Lichts gegenüber der Dunkelheit“, als „Hymne an die Aufklärung“ angepriesen.

Am Samstag hat „Lobgesang“ Premiere im Opernhaus. Und zwar als großangelegte Choreografie, mit Ballett, Chor und Orchester. Allerdings ist in diesem Falle dort, wo „Lobgesang“ drauf steht, nicht nur Lobgesang drin, denn Ballettchef Mario Schröder koppelt in seiner Inszenierung die Musik Mendelssohns mit Francis Poulencs A-Cappella-Kantate für Doppelchor „Figure humaine“. Ein Werk, komponiert 1943 im von Nazideutschland besetzten Frankreich. Und eins, das - ein Gedicht Paul Éluards vertonend - inmitten aller Unfreiheit auf die Freiheit, inmitten aller Unmenschlichkeit auf den Menschen beharrt.

Was ahnen lassen mag, welche Intentionen dieser Choreografie jetzt zu Grunde liegen. Auch wenn da am Anfang erst einmal ganz klar Mendelssohn stand: „Mein Ur-Impuls war schon seit längerem, mal etwas mit diesem Komponisten zu machen“, erklärt Schröder im Gespräch, „Da ist natürlich dessen Verwobenheit mit Leipzig. Dann meine Liebe zu dieser Musik seit frühester Jugend. Dazu kommt meine künstlerische Affinität zur Arbeit mit Chor und Orchester. Und schließlich, ganz pragmatisch, existieren hier in Leipzig einfach auch die Möglichkeiten für solche Unterfangen.“

So weit, so gut. Warum aber tatsächlich dann die Entscheidung Mendelssohn mit Poulenc zu kombinieren? Schröder: „Mendelssohn alleine, das begriff ich schnell, wäre choreografisch-konzeptuell nicht gegangen. Ich brauchte da noch eine Andersartigkeit. Einen Minimalismus, eine andere Wirkungsweise klanglicher Körperlichkeit, wie etwa die bei Poulenc.“

Auf die Idee, dessen „Figure humaine“ in die Choreografie zu integrieren, kam Opernchor-Direktor Alessandro Zuppardo. Eine gute Idee - in formaler, wie inhaltlicher Hinsicht. Es gehe darum diese zwei „Klangvolumen“, die, so Schröder, „eben mehr als nur Volumen, sondern schon reine Körperlichkeit“ seien, zu verweben: „Es muss gelingen, noch einmal einen anderen Raum aufzumachen für beide Komponisten. Die Möglichkeit mit Francis Poulenc den Mendelssohn anders zu hören - und auch darüber hinaus anders wahrzunehmen.“

Womit sich der Kreis zum Inhaltlichen schließt. Schröder: „Beide Werke sind eine Zustandsbeschreibung. Und der Zustand - bei Mendelssohn wie Poulenc - ist der Glaube an die humanistische Idee.“ Das Bewusstsein, diesen Glauben verteidigen zu müssen, gerade auch dann, wenn er auf die Probe gestellt ist durch Realitäten, wie Poulenc ihnen ausgesetzt war. „Die Gewissheit von der „Figure humaine“ getragen wird, ist die, dass die Freiheit siegen wird. Das hat im Entstehungskontext dieses Werkes ja fast was Autistisches, dieses Beharren auf die Werte von Aufklärung und Humanismus, wider der Realitäten.“
Berührend sei das für ihn, fügt Schröder hinzu. Und wenn er sich frage, warum er gerade jetzt und hier von dieser Musik so plötzlich und intensiv berührt werde, habe das natürlich auch mit einem gesellschaftlichen Zustand der Verhärtung zu tun, einer Abkehr vom Konsens des Humanen, ob dem er fühle, dass „diese Choreografie mit dieser Musik jetzt richtig ist. Genau das musst du jetzt machen“.

Ein Gefühl, ein Bedürfnis, das weniger intellektuellen Reflektionen und auch keiner Neigung zu jenen ja immer etwas angestrengten, gemeinhin ‚Aktualitätsbezug’ genannten Wichtigkeitsgebärden geschuldet ist, sondern der schlichten Idee entspringt, das Kunst, das Kultur tatsächlich ‚humanisierend’ ist: „Doch, das ist meine Idee vom Wirken meiner Arbeit. Seelisch-emotionale Momente auf der Bühne festzumachen und zu transportieren. Damit Menschen zu berühren. Denn Berührung löst Verhärtung. Das mag man als naiv bezeichnen. Aber ich glaube an diese Funktion von Kunst und Kultur. Ohne Wenn und Aber.“ Zumal Mendelssohn und Poulenc dürften das unterschreiben. Ohne Wenn und Aber.

 

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