„A sound has no legs to stand on“ von und mit Jule Flierl

„A sound has no legs to stand on“ von und mit Jule Flierl

Keine Ruhe am siebten Tag der 25. Berliner Tanztage

Drei Stücke, wie sie unterschiedlicher in ihren Ansprüchen nicht sein könnten von Mirjam Sögner, Jule Flierl sowie Rocio Marano + Lea Kiefer

Dunkelheit und Stille ermöglichen ein neues Sehen, welche Rolle Isadora Duncan spielt wird nicht ganz klar und am Schluss soll es noch eine Party geben.

Berlin, 16/01/2016

Mit drei Stücken wird der siebte Tag der 25. Tanztage Berlin fast ein Glückstag für den Tanz. Mit der Pünktlichkeit hat man’s ja nicht so. Also beginnt der Abend in den Berliner Sophiensaelen erst einmal mit Warten. Immerhin, Teil eins findet im Hochzeitsaal statt, und da kann man ja nicht einfach so hereinfallen. Das Publikum nicht, die beiden Künstler schon. Denn wenn alle Zuseherinnen und Zuseher einen Platz gefunden haben, dann fallen Mirjam Sögner und Gerard Reyes ziemlich unsanft durch die rechte und die linke Tür auf die grell weiß ausgeleuchtete Tanzfläche. Dann passiert erst mal nichts und dann wummert der Sound, soweit, so zeitgenössisch.

In „The Dance of the Future“ von Mirjam Sögner bilden nach dem Programmzettel Fotografien von Isadora Duncan den Ausgangspunkt für ihre Reihe von Körper-Exposés. Dabei bleibt zunächst unklar, ob es sich hier um Fotografien von Isadora Duncan handelt oder solche, die sie zeigen. Unklar ist weiterhin, ob sich Mirjam Sögner auf einen Text der Duncan bezieht, „Der Tanz der Zukunft“ oder ob sie etwas ganz anderes meint, und sich auf den Tänzer der Zukunft bezieht, denn im Programmheft der Tanztage und im aktuellen Programmzettel heißt es „The Dancer of the Future“, im Text dann hingegen, „The Dance of the Future“. Aber eins ist rasch klar, Konzept und Choreografie beziehen sich auf bekannte, typische Haltungen der Duncan, die sich bei Sögner und Reyes bewegungsmäßig aus einer sensiblen Slow-Motion-Ästhetik wie verschwimmende Erinnerungen in unterschiedlichen Schärfegraden des Bewusstseins entwickeln. Wenn dann beide behutsam und voller Zartheit die Dimensionen der Freiheit in den Bezügen der Körper zur Höhe und zur Bodenhaftung, quasi als Hommage an die Wegbereiterin der Moderne ausreizen, setzen Haltungen des Tänzers nach Art der Heiligen aus der Schule der Nazarener, ganz besondere Akzente. Mitunter bringen beide Protagonisten Momente leiser Ironie ins Geschehen, unfreiwillige Komik, aber immer dezent.

Dann, langsam, zunächst weniger wahrnehmbar, die Brüche, die härteren Rhythmen der Bewegungen, das flackernde Licht, die Rückkehr zum Boden, die Stille, der Lichtkreis. Wird jetzt die Duncan flach gelegt? Gibt es jetzt die Assoziationen zu den Fotografien im Querformat oder sollen doch, wie es im Programmzettel heißt, „die einzelnen Bildfragmente auf ihr queeres Potenzial hin untersucht“ werden? Auf jeden Fall wechseln die Ebenen, der Sound wird vorübergehend sphärisch, die Tänzerin und der Tänzer verständigen sich in einer Art Gebärdenkommunikation. Die Strenge ihrer kurzen, weißen Kittel über den silbernen Unterhosen lässt an die Geschlossenheit einer Klinik denken oder zumindest an den Raum einer Versuchsanordnung im Hinblick auf Zuordnungen des Bewegungsmaterials nach den Vorgaben männlicher oder weiblicher überkommener Traditionen. 

In einer Art ‚Isadora-Duncan-Disco’, verschwimmen dann alle Zuordnungen und in heiterer Selbstbestimmung setzt sich die Frau ins Publikum, greift zum Mikrophon und sagt dem Mann an, wie er sich zu bewegen hat. Er macht, was sie sagt, genießt es sich zärtlich zu berühren, dem drängenden Fluss weicher Bewegungen nachzugeben, kleine Faxen inbegriffen. Licht aus. Das war’s, ein Spiel mit der Freiheit der Körper im Tanz auf der Bühne, und ein Spiel mit der Freiheit der Bilder im Kopf der Zusehenden.

Zu sehen war beim nächsten Stück erst mal so gut wie gar nichts. Aber um nichts zu sehen musste man erst wieder warten. Dann ging es durch ein Labyrinth aus Treppen und Fluren, über den Hof, bis dann gar nichts mehr ging, man stand wie bestellt und nicht abgeholt in einem Treppenhaus. Versehen, oder schon Kunst

Das Missverständnis klärt sich, die versehentlich geschlossene Tür geht auf und wir dürfen eintreten in die Dunkelheit, wo bald auch Stille einkehrt und dazu eine wundersame Behutsamkeit der ins Dunkle entführten Menschen untereinander. „Wir brauchen nicht diese Stille zu fürchten. - Wir können sie lieben“, so John Cage in seinem Vortag „Silence“. Und auf das Zitat von Cage, „A sound has no legs to stand on“, bezieht Jule Flierl ihre choreografisch-performative Arbeit, gemeinsam mit ihren Performancekolleginnen und Kollegen Sorour Darabi, Adaline Anobile, Arthur Eskenazi und Vincent Roussel.

So widersinnig es klingen mag, man steht im Dunklen, aber man hat keinen Moment den verdrießlichen Eindruck, man wäre hier im Dunklen stehengelassen worden. So wie sich das Auge sanft einlässt auf die bislang kaum wahrgenommenen Quellen des Lichtes, abseits aller Überflutungen, so öffnet sich auch das Ohr den Klängen der Stille.

Und dann nimmt man auch die Töne der Protagonisten wahr, wie sie sich aus Geräuschen aufschwingen, wie sie zusammenfinden, zu schwebenden Vokalisen und ihr Netz spinnen zwischen uns, über unseren Köpfen, durch uns hindurch und uns einweben in diese Choreografie der Klänge, einer wunderbaren Kunst ohne jede Art von Künstlichkeit. Was man nicht sieht, kann man spüren, die Bewegungen der Performer, die Bewegungen der Anderen, das Verschwimmen der Grenzen. Aus dem Raunen wird Stöhnen, aus dem Flirren der zarten Töne wird archaisches, animalisches Röhren und Grunzen. Ab und an fällt eine Münze zu Boden, der sprichwörtliche Groschen?

Man hat immer stärker den Eindruck, das Ohr kann mehr hören als man gemeinhin denkt, das Auge sieht mehr Licht in der Dunkelheit als man glauben mag, „Alles ist daher ein Vergnügen“, so Cage in seinem Nachdenken über die Stille. Mit der Stille kommt das Licht, tatsächlich, Jule Flierl hat den Bewegungen Formen gegeben, die zunächst in unseren Köpfen zu tanzen vermögen. Und dann, als gelte es diese Erfahrung der glücklichen Stille zu feiern, bricht sich ein Tanz seine Bahn mit Bewegungen wie aus Momenten des Nachklanges jener gerade erfahrenen, wundersamen Helle der Dunkelheit.

Es folgt ein Satyrspiel, es ist ja spät geworden, „Los Ninjas - Matter of Blood“ nennen die Bewegungskünstlerinnen Rocio Marano + Lea Kiefer ihre Performance mit Ulk und ernst gemeintem Anspruch. Ninja, Mythos und Pop, Action und Computerspiel, Kampf und Klamauk. Die Katzen dazu als riesige, aufgeblasene Gebilde, grüne Halbmonde als Augen und Blut im Katzenhirn. Der Schnee aus Verpackungsplaste fällt in Massen, da kann man Muster auf die Bühne schieben und man kann sie zerstören. Ob in Kampfszenen oder bei witzig gemeinter Playback-Karaoke, die Witze im Foyer des Theaters schienen besser zu sein, denn draußen wird lauter gelacht als drinnen. Aber eigentlich, wird alles geliefert, wie es der Programmzettel ankündigt, auch das unverzichtbare Videospiel, nur davon, dass diese Performance als Party ende, wie angekündigt, davon kann keine Rede sein.
 

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