„4“ von Guy Weizman und Roni Haver

„4“ von Guy Weizman und Roni Haver

Vom Zählen in unsicheren Zeiten

Guy Weizman und Roni Haver haben bei tanzmainz über die „4“ nachgedacht

Die Choreografie hat Ähnlichkeiten mit einem Videoclip, auf den Novile Maceinaite und Darien Brito den elektronischen Musikmix mit kontrastierenden Einsprengseln – etwa Johnny Cash und Bach - zugeschnitten haben.

Mainz, 08/12/2015

Das war mal so einfach mit dem Showbusiness: ein Cowboy-Glitzerkostüm, ein ironischer Ohrenschmeichler und ein sexy Hüftschwung mit guter Sicht auf Waschbrettbauch und Bizeps – schon johlt das Publikum. Am Ende sitzt der Cowboy frustriert am Bühnenrand, während ein Song das Wiedersehen beschwört. Dazwischen liegen 70 Minuten fulminanten zeitgenössischen Tanzes aus der Eigenwerkstatt der Mainzer Hauschoreografen Guy Weizman und Roni Haver. Das aus Israel stammende Künstlerduo – inzwischen mit einer eigenen Company in Groningen heimisch – hatte schon den Auftakt des neuen „tanzmainz“ unter Spartenleiter Honne Dohrmann zu verantworten, „My private Odyssee“. Dieses Mal haben die beiden viel weiter ausgeholt: mit vier mal vier TänzerInnen beleuchten sie die magische Zahl „4“ nach allen Regeln heutiger Bühnenkunst. Und da spielen neben dem weiten Assoziationsraum (vier Temperamente, Jahreszeiten, Himmelsrichtungen) tatsächlich Bühne und Licht tragende Rollen.

Ascon de Nijs hat die eine tiefe hufeisenförmige Bühne des Großen Hauses gebaut, in deren Hintergrund sich der Zivilisationsmüll türmt – blaue Müllsäcke und defekte Schwarzweiß-Fernseher mit Flimmerbild. Als Rahmen dienen kniehoch montierte Traversen, auf denen eine Art Zeitmaschine umläuft. Lichtdesigner Wil Frikken hat eine üppig ausgestattete Spielwiese, die er redlich ausnutzt bis hin zu einer Art Bühnen-Kronleuchter, der sich auch noch dramatisch absenken lässt; Nebel- und Windmaschinen sind im Einsatz. Die sich immer wieder neu formierenden Tänzer-Grüppchen, die den weiten Raum bespielen, sind auf der Suche nach sicheren Augenblicken. In Gender-Cross-Kostümen von Slavna Martinovič, die im Verlaufe des Abends immer luftiger werden, scheinen sie gründlich die Orientierung verloren zu haben.

Unsicherheit gibt den Ton an in dieser Choreografie. Bis sich die Tänzer gegenseitig wahrnehmen, miteinander über Körpersprache kommunizieren und am Ende zusammenfinden können – nicht nur, aber natürlich mit besonderer Intensität im Viererbund – vergehen viel Rennen und Stillstand, Ausloten des Raumes mit zuckenden, steifen Armen, werden Körpersprachen erprobt und verworfen. Die sechzehnköpfige Truppe zeigt mehr Charakterköpfe als gefällige Gestalten; Mattia de Salve bringt freche Streetdance-Akrobatik mit ins Spiel und lässt die Schwerkraft alt aussehen.

Die Choreografie hat Ähnlichkeiten mit einem Videoclip, auf den Novile Maceinaite und Darien Brito den elektronischen Musikmix mit kontrastierenden Einsprengseln – etwa Johnny Cash und Bach - zugeschnitten haben, in dem ein kurzer Piepton eine Dauerrolle spielt: als würden auf einem Smartphone beständig Nachrichten aus sozialen Netzwerken gepostet. Die Netzwerke, die das Choreografenduo erdacht hat, setzen besonders auf Frauenpower. Es gibt einen Kuss unter Frauen und eine aufgetürmte menschliche Pyramide mit Alessandra Corti im Mittelpunkt: fragile Augenblicke der absoluten Solidarität.

Das dichte, nicht einfach zu konsumierende Bühnengeschehen verlockte die Zuschauer zu Beifall und Diskussion: Nicht wenige blieben am Ende einfach auf ihren Plätzen sitzen, um erst einmal selbst zu Wort zu kommen…

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