„Silver“, Demi_Carlin Aarts, Endre Schumicky

„Silver“, Demi_Carlin Aarts, Endre Schumicky

Roboter auf dem tänzerischen Vormarsch

Zur neuen Tanzproduktion „Silver“ von Nanine Linning in Heidelberg

Immer menschenähnlichere Roboter sind ein bekanntes Thema aus Science Fiction Filmen oder futuristisch angehauchten Fernsehserien. Nun nehmen sie auch die Tanzbühne ein und damit eine zutiefst menschliche Kunst.

Heidelberg, 16/11/2015

Ein Hauch von Hollywood weht über der neuen Tanzproduktion „Silver“ von Nanine Linning im Heidelberger Theater. Wenn die Zuschauer am Ende den Saal verlassen, stoßen sie im Foyer auf drei fötal zusammengekrümmte Tänzerkörper, von dunklem Flüssiglatex übergossen – nur das Heben und Senken der Flanken beweist, dass sie am Leben sind. Es ist der niederländische Textildesigner Bart Hess, dem diese ebenso eindrucksvollen wie verstörenden Bilder zu verdanken sind. Nanine Linning hat den unorthodoxen bekennenden High Tech Freak erstmals als Ausstatter einer Tanzproduktion gewinnen können, aber neu im Showgeschäft ist er keineswegs – Lady Gaga zählt beispielsweise zu seinen Kunden.

Das Thema des neuen Tanzstücks von Nanine Linning, mit ihrer Kompanie seit 2012 fest am Heidelberger Theater beheimatet, fällt so recht in das Fach von Bart Hess: es ist der Konflikt zwischen lebendigen, individuellen, im besten Sinne sterblichen Körpern und immer menschenähnlicheren Robotern, die keine Schwächen kennen. Die ferngesteuerten Maschinenwesen hat Bert Hess in silbern glitzernde futuristische Ritterrüstungen gesteckt, Hartplastikmasken mit blonden Perücken lassen sie zu einer Armee von Klonen werden. Sie bewegen sich anfangs mit steifer Wirbelsäule und mechanischen zweidimensionalen Arm- und Beinbewegungen vorwärts wie Computeranimationen – ein bisschen lächerlich und ziemlich bedrohlich. Denn alles Menschliche ist ihnen fremd, insbesondere ein menschliches Paar – fast nackt und sehr schutzlos, das in Nähe und Zweisamkeit Sicherheit und Schutz sucht. Vergeblich – mit hartem Zugriff trennen die Roboter die Liebenden.

Michiel Jansen, sozusagen Nanine Linnings Hauskomponist, unterstützt die Dramatik dieses ungleichen Kampfes mit einer Komposition, in der klassische Musik als Folie immer wieder durchscheint, aber computergenerierte Töne und akzentuierte Geräusche den Spannungsbogen bis ins kleinste Detail vorgeben.

In einem schwarz ausgeschlagenen Raum, der nur durch drei bewegliche schwarze Quaderobjekte definiert wird, leuchtet die Choreografie den ungleichen Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine aus. Die silbernen Roboter schälen eine zierliche Tänzerin aus fleischfarbenem Flüssiglatex – ihr Tanz lässt sie die einzigartigen Möglichkeit ihres Körpers entdecken. Mehr Gemeinsamkeit verordnen die extraordinären plastischen hautfarbenen Applikationen (grotesk verdickte Waden und gekrümmte Buckel) einer ganzen Gruppe von Tänzern, die sich im Scherenschnitt (Lichtdesign: Philipp Wiechert) wie Neandertaler ausnehmen. Quasi im Zeitraffer erlernen sie den aufrechten Gang und mit ihm den Tanz. Wieder andere menschliche Figuren tragen eine Überfülle von hautfarbenen Stofffetzen mit sich herum, die von den Robotern penibel abgestreift werden – nichts Überflüssiges darf heutzutage an einem lebendigen Körper hängen, weder Fett noch Falten. Ein weiß gefiedertes Fabelwesen wird im Stroboskoplicht spektakulär geschreddert…

Es ist ein unfairer Wettbewerb, in den Nanine Linning die menschlichen Figuren ihrer zwölfköpfigen, überwiegend neu formierten und durchweg hoch athletischen Kompanie schickt, denn die Roboter holen immer mehr auf. Ihr Bewegungsrepertoire erweitert sich zusehends – ganz wie im realen Leben.

Anfangs kämpft ein Tänzer einen vergeblichen Kampf gegen das riesige, vom Schnürboden herabhängende blaue Netz, in das er sich verheddert hat. Am Ende versucht ein unsichtbarer menschlicher Körper die flexible Wand eines der schwarzen Quader zu durchbrechen: Nanine Linnings Zukunftsvision hat keinen Raum für Optimismus. Das Heidelberger Publikum allerdings reagierte keineswegs düster, sondern höchst vergnügt.

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