Australien am Rhein

Die Festspiele Ludwigshafen werfen dieses Jahr einen Blick auf den fünften Kontinent

Mal zurückgreifend auf die Kultur der Aborigines, mal alltäglich und mal in 3-D - die australische Tanzszene präsentiert sich als vielfältig und spannend.

Ludwigshafen, 14/11/2015

Im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen zeigen Tanzschaffende aus Australien außergewöhnliche Kunst. Freischaffende Choreografen wie Stephanie Lake und Antony Hamilton eröffnen ungewohnte und staunenswerte Perspektiven in ihren Arbeiten. Das gilt ebenso für das Marrugeku Theatre Broome mit der außergewöhnlichen Choreografie von Dalisa Pigram und Serge Aime Coulibaly. Abgerundet wird der Einblick in die australische Tanzszene durch die neuen Arbeiten der international bekannten Choreografen Garry Stewart, Lucy Guerin, Shaun Parker und Rafael Bonachela.

Das Universum sind wir

In Plastiktüten gehüllte Gestalten bevölkern den unwirtlichen Bühnenraum, der am Rand ein aufragendes Rohr mit Ventilen zeigt. Sie könnten von einem Gaswerk stammen. Um Gas und um andere fossile Ressourcen dieser Erde geht es im ersten Stück beim „Focus Australian Dance“ im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen. „Cut the Sky“ ist eine kongeniale Arbeit des Marrugeku Theaters in Broome, das im nördlichen Westen von Australien liegt. In fünf Liedern für die Zukunft, so ihr Untertitel, erklingen etwa Songs von Nick Cave and the Bad Seeds wie ein akustischer Spiegel zu den visuellen Eindrücken: Videos von Naturkatastrophen, die zerstörte menschliche Siedlungen zeigen, von Wüsten- und Felslandschaften, von erschöpfter Erde und von der Sonne. Dazu tanzt eine Gruppe von Tänzern mit Bewegungen, die alles noch einmal erzählen. Denn ihr Tanz ist nicht bloß Kommentar, sondern selbst das Drama des hier verhandelten Stoffs.

Vor zwei Jahren war Dalisa Pigram mit ihrem Solo „Gudirr Gudirr“ im Pfalzbau zu sehen. Von Missachtung, Wut und Befreiung erzählte schon damals ihr Tanz, metaphorisch dem Ruf des Guwayi-Vogels entlehnt. In Broome, dem Land des Yawuru-Volks, ist sie aufgewachsen. Ihre Vorfahren gehören zu den Ureinwohnern Australiens, den Aborigines. In „Cut the Sky“, arbeitet Dalisa Pigram mit dem westafrikanischen Tänzer und Choreografen Serge Aimé Coulibaly zusammen, der in Europa durch seine Tanzkunst beim berühmten Les Ballets C de la B in Belgien bekannt ist. Beider Einflüsse - erinnerte traditionelle Bewegungen der Aborigines und Elemente der malaiischen Kriegskunst sowie afrikanischen Ausdrucksformen gekoppelt mit zeitgenössischen Tanzvokabeln - führen zu einem außergewöhnlichen Stil. Pigram, die selbst auf der Bühne tanzt, führt das eindrucksvoll vor. Ihr seltsam schlingernder Gang, von den Füßen über die Hüfte den ganzen Körper erfassend, gibt ihren Worten über Gier und Gewalt die entscheidende Energie.

„Ich bin das Universum“, sagt der Seher gegen Ende des Stücks. Seine Worte wandeln die Zukunft, die Vergangenheit und das Jetzt zur mythischen Formel. Es bleibt an uns, sie zu erkennen.

Eisbälle können nicht tanzen

Materie ist Energie. Und wenn drei Menschen tanzen, ihre Körperteile in alle Richtungen ausdehnen, sich um die eigene Achse drehen und ständig die Ebenen wechseln, ist diese Energie besonders gut sichtbar. Tanz und Musik in Kombination wäre schon die Doppelung von energetischen Strukturen, die im Raum freigesetzt werden. Wenn dann noch auf einer Leinwand 3D-Grafiken erscheinen, kommt noch ein drittes Medium hinzu. Mit der 3D-Brille auf der Nase fliegen die Strukturen auf einen zu oder stehen, sich in alle möglichen Formen wandelnd, vor einem. Und sind dann aber genau so schnell wieder weg. „Multiverse“ nennt der in Australien ansässige Choreograf Garry Stewart seine im Bewegungslabor der Deakin University zusammen mit Wissenschaftlern entwickelte Arbeit. Sie ließ sich auf der Hinterbühne des Theater im Pfalzbau gut zeigen, da sie ihr Potential in einem überschaubaren Raum besser entfalten kann.

Hinter der Idee vom vielgestaltigen Universum steht bei Stewart die theoretische Physik mit Phänomenen wie der String-Theorie, Vorstellungen von parallelen Dimensionen oder schwarzen Löchern. Strings etwa sind Energiefäden, die schwingen. In der 3D-Animation treten im Modell alle möglichen Strukturen in Erscheinung. Spaghettiartige Fäden schlingern im Raum, verbiegen sich, werfen Wellen und zerbröseln, um neuen Teilchen Platz zu machen. Eisbällchen aus unzähligen Dreiecken fliegen durch die Luft und bersten, eröffnen rotierenden Rädern oder wirbelnden Löchern Raum. Davor oder eher geerdet und unten am Boden bewegen sich die drei Tänzer vom Australian Dance Theatre. Ihre Körper setzen feine Details in Szene, die aufregendere Formationen erschaffen als ihre künstlichen Leinwandspieler. 3D-Effekte können anscheinend alles, nur nicht tanzen.

Die Tänzer räumen das Feld

Düster ist es auf der Hinterbühne im Theater im Pfalzbau. Es grollt und donnert wie bei einem Unwetter. Oder ist es das Dröhnen vergangener Kriege? Auf der Leinwand im Hintergrund ziehen graue Wolken oder Gase. Davor entpuppen sich zwei Gestalten aus den leblosen Gegenständen, die wie Geröll oder eine andere Art von Materie den Boden bilden. Sie synchronisieren ihre Bewegungen und tanzen langsam mit einem wie geheim anmutenden Gestenspiel vom Rand in die Mitte. Am bedrohlichen Soundtrack wird sich das ganze Stück über nichts mehr ändern. Nur die grauen Wolken weichen im Laufe der Zeit einer malerischen Lichttechnik, von den zwei Akteuren mit weißer Kreide auf die Wand gezeichnet. Durch weitere Projektionen im Wechsel von Licht und Dunkelheit leuchtet ein Wandgemälde aus Linien. Die beiden Kreaturen haben sich längst im düsteren Klang aus dem Geschehen verflüchtigt.

„Black Project 1“ nennt der Australier David Hamilton sein 2012 in New York uraufgeführtes Werk. Im Pfalzbau wird es mit einem aktuellen Stück aus diesem Jahr kombiniert. „Meeting“ passt auf seltsam irritierende Weise gut dazu. Es führt mit völlig anderen Mitteln fort, was in der ersten Arbeit angelegt ist. 64 vom Computer gesteuerte Minimaschinen in Form und Größe eines Transistorradios bilden am Boden einen Kreis. Aus ihnen ragen Zeiger ins Innere – ein Uhrwerk? In der Mitte bewegen sich zwei Tänzer synchron im Takt der Zeiger, die wie Klöppel blitzschnell auf den Boden schlagen. Dabei produzieren sie feine, wie mit Füßen gesteppte Geräusche. Im Takt der Maschinen entwerfen die Tänzer, synchronisiert im Lauf ihrer Gesten, bald den Eindruck irrsinniger Gleichschaltung. Später zerstören sie die Ordnung und verteilen die Maschinen im Raum. Während nun multiple Taktgeräusche zum Klangteppich verschmelzen, haben auch hier die Akteure längst die Bühne verlassen. Nur die Minimaschinen lassen nicht locker und halten die Zuhörer gefangen.

Jede Bewegung erzählt

Es sorgt für Heiterkeit im Publikum, wenn ein Laie aufgefordert wird, die Bewegungen eines Tänzers nach zu machen. Geschmeidig gleitet der eine Körper zu Boden und kommt mit einer geschickten Drehung wieder in den Stand. Der andere untrainierte hingegen müht sich ungelenk an der Vorgabe ab. Lucy Guerin nutzt diesen Effekt für ihre Choreografie mit dem sprechenden Titel „Untrained“. Ein weiß gekennzeichnetes Quadrat auf dem Bühnenboden grenzt den Aktionsraum ein - eine kleine Bühne innerhalb der großen. Daraus wird ein Übungsfeld, als zu Beginn des Stücks vier Tänzer nach einander in das Quadrat treten, frontal zum Publikum stehen und einfach nur in den Zuschauerraum blicken. Wer von den vier Akteuren trainiert und wer nicht trainiert ist, fällt schon bei dieser unspektakulären Aufgabe sofort auf. Bühnenpräsenz gehört eben zur tänzerischen Routine. Nach und nach werden die Tanzschritte der Profitänzer komplexer und damit schwieriger. Ihre beiden ungeübten Mitspieler greifen Teile der Bewegungssequenzen auf, vereinfachen sie und ändern sie auf ihre Weise ab. Das birgt viele komische Momente, bis sich die Regeln der Darbietung verändern.

Von der Virtuosität auf der einen Seite und dem Bemühen um Aneignung auf der anderen, rückt die Arbeit der Australierin Lucy Guerin immer stärker ab hin zu einer Nahsicht auf ihre Darsteller. In einer wunderbar humorvollen Szene demonstrieren die vier Künstler, wie sie sich ein T-Shirt über den Kopf ziehen, welche Handgriffe sie dabei einsetzen und in welcher Reihenfolge sie das Shirt dann wieder anziehen. Vier verschiedene Versionen einer Alltagshandlung. So entwickelt sich „Untrained“ vom anfänglich unausgewogenen Treiben zwischen Profis und Laien weg und lässt die Individualität der vier Künstler in den Vordergrund treten. Sehgewohnheiten werden in dieser Arbeit erfrischend umgelenkt und einer persönlicheren Qualität zugeführt.

Außerdem noch zu sehen war "Dual" von Stephanie Lake.

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