Es gibt immer was zu feiern...

Das Tanzarchiv Köln feiert Kurt Peters und die Tanzfilminstitut-Gründerin Heidemarie Härtel.

Pick bloggt über Jubiläen, das Tanzarchiv, seine Bekannten Kurt Peters und Heidemarie Härtel und einen einschneidenden Besuch der „Schwanensee AG".

Köln / Bremen, 09/11/2015

Es gibt immer wieder was zu feiern, zum Beispiel, dass sich der Geburtstag von Kurt Peters zum hundertsten Mal jährt. Das Tanzarchiv in Köln hat dies zum Anlass genommen ihm eine kleine Ausstellung zu widmen. Ich weiß nicht ob es Absicht war, aber es passt sehr gut, dass in den weiteren Räumen eine Ausstellung mit dem Titel „Das Echo der Utopien/Tanz und Politik“ läuft. So lange wie ich Kurt kannte, war er ein politischer Mensch, der sich jedoch nicht in einer Partei organisieren ließ. Nicht in der Weimarer Republik, nicht während dem 2. Weltkrieg, den er an der Westfront mit durch- und überlebt hat, und auch nicht im Nachkriegsdeutschland. Er hatte immer eine pointierte Meinung, über das, was um ihn herum und auf der politischen Weltbühne geschah. Und es war, glaube ich, kein Geheimnis, dass er eher links ausgerichtet war.

Literaten wie Brecht und Tucholsky standen nicht in der hinteren Reihe seiner Bücherregale. Doch auch als die SPD ans Ruder kam hat er nicht mit Kritik gespart, wenn es nicht so lief, wie er sich das gewünscht hätte. Und wenn es sich um die Tanzkunst im politischen Sinn drehte war eindeutig Kurt Jooss sein Ein und Alles. Und das nicht nur wegen seines preisgekrönten Hauptwerks „Der grüne Tisch“, das am Vorabend der Machtübernahme der Nazis entstand, sondern auch wegen „Großstadt“, das eindeutig brechtsche Züge trägt. Als ich Jooss einmal fragte, ob er Brecht begegnet sei und warum er nie mit ihm gearbeitet habe, wiegelte er ab, wollte sich nicht festlegen und es war eindeutig: die „Lehrstücke“ von ihm waren nicht seine Wellenlänge, zu schulmeisterhaft. Auch Kurt Peters ging immer davon aus, dass zwischen schwarz und weiß noch viele Schattierungen liegen.

Tanzrebell Hans Kresnik hat ihm sehr imponiert und auch Gerhard Bohner. Er amüsierte sich über dessen Jungchoreographie „Anspannen-Abschlaffen“, in der die Hauptrolle einem Riesenpenis zukam, der durch Luftzufuhr wie bei einem Luftballon zu Größe kam und wieder erschlaffte. Eines Tages, als Hans Kresnik bereits in Bremen Ballettchef war, kam er zurück von der Premiere „Schwanensee AG“ und ließ sich aus wie mutig er das fand und das man auch das Recht habe, alte Zöpfe abzuschneiden. Ich hörte dem etwas ungläubig zu, nutzte aber die nächste Gelegenheit, um ins Theater am Goetheplatz zu fahren, wo in der Kantine der scheinbar ungewaschene Fassbinder und seine Schauspielerclique saßen.

Für mich war diese „Schwanensee AG“ ebenfalls ein Schlüsselerlebnis, denn der Hans hatte da eine Szene eingebaut, in der sechs Kerle einem zerbrechlichen jungen Mädchen mit Stangen zu Leibe rückten. Sie versuchten sie mittels dieser Stangen in die Zange zu nehmen und nachdem sie doch nicht so zerbrechlich war wie sie schien, triumphierte sie kurz über die Stangen ehe die ganze Tortur weiter ihren Lauf nahm. Diese Szene hat sich mir unauslöschlich eingeprägt und das gequälte Geschöpf war niemand anders als Heidemarie Härtel, eine Anfängerin aus der Kölner Ballettakademie und somit eine Schülerin von Kurt Peters, die ich aus meiner Zeit im Tanzarchiv kannte.

Zu dieser Zeit kamen vor allem die Mädchen ins Archiv, um im Bühnenjahrbuch nach Adressen zum Vortanzen zu suchen. Aber Heidi kam nicht nur deshalb, sie las auch Bücher, und dieser Wissensdrang hat sie nie mehr verlassen. Und nun mache ich ein riesen Zeit-Grand-Jeté bis zu dem Zeitpunkt als sie die Tanzschuhe an den Nagel hängte. Bereits während ihrer Zeit als Tänzerin hatte sie sich eine Videokamera angeschafft. Und die Fotografie hatte sich bei ihr im Laufe der Zeit zu einer wahren Liebesgeschichte entwickelt. Ich erzähle das hier, weil auch diese jung gebliebene Frau zu unserer Feierwut Anlass gibt. Heidi feierte in diesem Jahr ebenfalls einen runden Geburtstag. Sie ist 35 Jahre jünger als ihr Lehrer und Mentor und wenn man so will, ist sie so etwas wie eine Tochter der kleinen grauen Zellen.

Nach einem Studium gründete sie, noch immer in Bremen, das erste und einzige Deutsche Tanzfilminstitut. Mit dem Geld, das man sich aus der Bayerischen, der Künstlerversicherung, auszahlen lassen kann, wenn man vor dem vierzigsten Geburtstag eine andere Existenzgrundlage anstrebt. Und so sehe ich in ihr, genauso wie selbstredend auch in Gisela Peters-Rohse, Kurt Peters Muse und treusorgenden Gattin, seine Erbin, die den Faden von Peters aufnahm. Und das in einer Zeit als langsam das geschriebene Wort an Faszination verlor und die bewegten Bilder zuerst durch Film und dann, schlimmer noch, durch das Fernsehen und schließlich das Internet, dass nun durch Kurzmitteilungen und Kurzfilmchen rund um die Uhr alle Generationen wie im Rausch erfasst hat, die Oberhand gewannen.

Noch ein anderes Jubiläum gibt Anlass für unsere Feierwut, auch das Deutsche Tanzfilm Institut hatte einen runden Geburtstag und man kann nur hoffen, dass die Umbauarbeiten an dem historischen Gebäude in Bremen eher fertig werden, als die Philharmonie in Hamburg. Fast gegenüber dem Archiv lockt die Gemäldegalerie und eine Straßenbahnhaltestelle entfernt das Theater am Goetheplatz mit seinem Ruf „Asyl der Avantgarde“ zu sein. Dort bekamen nach Kresnik, Susanne Linke neben Gerd Bohner, später mit Urs Dietrich, und nicht zu vergessen, Reinhild Hoffmann sowohl das Tanz- als auch das Filmarchiv viel Material. Das bedeutete viel Arbeit und kaum Zeit für die Irren, die sich dem Sammeln der Überreste bedeutender Künstler annehmen.

Das ist aber nur die eine Hälfte der Arbeit des Instituts, die zweite war und ist das Produzieren von wichtigen Ereignissen, wie Tanzplattform, Deutscher Tanzpreis (leider Vergangenheit) und Projekten mit dem Goethe–Institut. Aber auch der Nachlass der Fleißperlen, die zwar nicht die Welt veränderten, aber oftmals beim Publikum den größeren Eindruck hinterlassen haben und deren Fans Autogramme wie Reliquien horten, wurde nicht vergessen. Über kurz oder lang werden auch diese Zeitzeugen in den Regalen und Festplatten der Archive ihren Platz finden und so zum Gedächtnis einer neuen Generation werden.

Wir leben zwar in einer Zeit, in der der Rückblick auf die Altvorderen immer weniger Gewicht zu haben scheint, aber ich bin ziemlich sicher, dass die Zeit der Reizüberflutung schon ihren Höhepunkt überschritten hat. Und dann wird man sich auch wieder erinnern wollen wer die Gründerväter waren, nämlich Kurt Peters mit Gisela Peters-Rohse und deren Nachfolger Frank-Manuel Peter und Thomas Thorausch und in Bremen das angenommene Kind Heidemarie Härtel mit noch zu findenden Nachfolgern, was allerdings noch eine gute Weile Zeit hat. Voraussetzung wird große Hingabe sein und Verständnis für diese unsere flüchtige Kunst.

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