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Menschen im Maschinenrhythmus

„Rasender Stillstand“ - Stücke von Urs Dietrich und Gregor Zöllig beim ersten Tanzabend in Zölligs Amtszeit am Staatstheater Braunschweig

Zöllig gelingt hier packend die sinnliche Suggestion eines Systems, das über Leichen geht und am Ende selbst verbrennt.

Braunschweig, 04/11/2015

Am Anfang schwebt ein riesiger Felsbrocken über der Szene. Er wird sich drehen, aber nicht abstürzen. Urs Dietrich, bei dem Braunschweigs neuer Tanzchef Gregor Zöllig einst als Assistent begann, darf den ersten Tanzabend der Saison eröffnen und zeigt die Tänzer sozusagen in ihrem Leben vor dem großen Aufprall. Die „Coincidance“ (Zufall) führt verschiedene Typen hier zusammen, leider von einer merkwürdigen Kindersprache getrieben, die ins Alberne zieht, was dramatisch oder poetisch-alltäglich sein könnte.

Es ist ein Kommen und Gehen, es gibt Annäherung mit ausgestrecktem Fuße, ein warmes Wiegen der Partnerin im Sitzen, kurzes Schmiegen und Verlassen. Die Bedrohung scheint mal von außen zu kommen, mal doch im Stein zu liegen, zu dem man sich im Kreis aufwippt. Die Musik wird drohender, passieren tut nichts, Vorhang. Das blieb doch etwas schlicht und, ja – zufällig.

Gregor Zölligs Uraufführung „Rasender Stillstand“ startet im Dunkeln. Tiago Manquinho scannt seinen Körper mit dem Handylicht. Andere Tänzer kommen dazu, keiner sieht sich an, alle scannen sich selbst, sind damit beschäftigt, sich via Technik für andere sichtbar zu machen. Zöllig gewinnt daraus synchrone Bewegungsfolgen, bei denen sich das Handylicht in Windmühlen der Arme verselbständigt zu geheimnisvollen Leuchtzeichen, einer Art Lichtkalligraphie.

Dann wieder folgen an Reales erinnernde Szenen: das Einüben einer Pop-Choreografie vor der Cam, der mit dem Handy gefilmte Sturz. Die Kamera mit dem lockenden Finger wird dann zum bedrohlichen Monster – wenn Zöllig doch auf das alberne Bellen dabei verzichtet hätte, das ganz aus der Ästhetik fällt.
Zappelnde Hände im Unterlicht zeigen schließlich den rasenden Stillstand, die leerlaufende technische Bewegung, die zu niemandem mehr führt. Das geht auf, auch wenn man sich zu diesem Thema auch ein paar lichtere Personality-Szenen zur Abwechslung hätte vorstellen können.

Zölligs erprobtes Erfolgsstück „Speedless“ knüpft an die zitternden Hände des Vorstücks an. Unter einem zuckenden Diagramm vollführt die Gruppe zackige Handbewegungen, eine komplizierte, verschränkte Bewegungsfolge die sich nachher vergrößert zu Ganzkörperbewegungen, die mit denen der Partner ineinandergreifen. Ein falscher Griff, und der nächste hätte den Arm im Gesicht. Das Tempo steigert sich, einzelne fallen, rappeln sich wieder auf, es ist eine große Ausbeutungsmaschine, die hier am Werk ist, trainiertes Gleichmaß. Damit weckt die abstrakte Choreographie auch gesellschaftliche Assoziationen. Konformität über alles.

Ein Tänzer schreitet mal mit geballten Muskeln stieren Blicks vorwärts – die Gegenkraft? Einige beginnen, sich selbst zu umarmen, so leiden sie unter der Entfremdung. Mancher bleibt liegen, während andere weiterackern im Galopp. Diesen Wettlauf kann niemand gewinnen.

Zöllig gelingt hier packend die sinnliche Suggestion eines Systems, das über Leichen geht und am Ende selbst verbrennt: Rasender Stillstand auch hier. Kompliment an die Tänzer, die das so präzise wie ausdauernd hinlegen. Starker Applaus.

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