„Thema und Variation“ von George Balanchine: Alice Mariani, Jiří Bubeníček, Ensemble

„Thema und Variation“ von George Balanchine: Alice Mariani, Jiří Bubeníček, Ensemble

Wie das Leben im Tanz variiert

Balanchine, Forsythe und Ek, „Thema und Variationen“ beim Semperoper Ballett in Dresden

„Gott ist tot“, so Friedrich Nitzsche. „Gott ist anders (honest to god)“, so 1962 der amerikanische Bischof John A.T. Robinson. Dem Choreografen Mats Ek träumte, er habe Gott gesehen, und siehe, SIE war schwarz.

Dresden, 01/10/2015

„Gott ist tot“, so Friedrich Nitzsche. „Gott ist anders (honest to god)“, so 1962 der amerikanische Bischof John A.T. Robinson. Dem Choreografen Mats Ek träumte, er habe Gott gesehen, und siehe, SIE war schwarz. Mit seiner Choreografie „Sie war schwarz“ von 1995, die 2011 in der Einstudierung von Allyson Way Wanselius beim Dresdner Semperoper Ballett Premiere feierte, geht jetzt ein neu zusammengestellter, dreiteiliger Abend in der Semperoper zu Ende.

Zu Ende ist gar nichts, wenn man das Theater verlässt. Der Tanz geht weiter im Kopf und lange noch bleiben die Bilder und Eindrücke der grandiosen Kompanie in der Erinnerung. Das mag nicht zuletzt an den so klugen wie schlüssigen, den sich so wunderbar ergänzenden drei Choreografien liegen.

„Thema und Variation“, so auch der Titel des Abends, von George Balanchine aus dem Jahre 1947, kam in Dresden in der Einstudierung von Patricia Neary 2009 heraus. Balanchine zelebriert zur Musik des letzten Satzes aus Tschaikowskys Suite für Orchester Nr. 3, in G-Dur, Op.55, in einer seiner gelungensten Kreationen den optisch und akustisch nachvollziehbaren Zusammenklang von Musik und Tanz, indem er klassische Varianten des Balletts in berührende Momente zeitloser Bewegungspoesie überführt. Natürlich sind die technischen Ansprüche für die acht Tänzerinnen und Tänzer im Corps de ballet enorm, erfahren noch Steigerungen für die vier Paare und steigern sich für die Solistin und die Solisten. Balanchine liebte die jungen Tänzerinnen, in Dresden tanzen keine Babyballerinen, hier ist der Tanz erwachsen, das ist gut so. Mit fließender Eleganz und geradezu charmanten, superflinken Varianten zeitgemäßer Spitzenkunst erlebt man Alice Mariani als Solistin. Jiří Bubeníček ist ein präsenter, höchst behutsamer Partner und setzt vor allem kraft seines Ausdruckspotenzials, das sich nicht allein technisch begründet, individuelle Akzente. Dazu das Spiel der Staatskapelle, am Pult Benjamin Pope. Ein Dirigent wie er, der auch mal vor einem Meer von Blüten dirigiert, vermag es Tschaikowskys Musik erblühen zu lassen zum Tanz der sich hier bestens entfaltenden Kompanie.

Die künstlerische und ästhetische Mitte dieses bemerkenswerten Abends bildet William Forsythes „Neue Suite“, im Gegensatz zur Dresdner Erstaufführung von 2012, jetzt als eine Folge von neun Pas de deux zu Musik von Händel, Bach und Berio. Die „Neue Suite“ hat William Forsythe für Dresden teils neu kreiert und angeregt durch die enormen Möglichkeiten des Balletts hier auch speziell arrangiert. Ein Pas de deux zu Händels Allegro aus dem Concerto Grosso Op.6, Nr.3 e-Moll, wird in dieser Zusammenstellung auch erstmals in Dresden von Chiara Scarrone und Francesco Pio Ricci getanzt.

In den insgesamt neun Pas de deux dieser Arbeit aus verschiedenen Jahren kann man in schönster Konzentration nachvollziehen mit welchem Können Forsythe klassischen, vor allem neoklassischen Traditionen nachspürt, sie aufnimmt, wohl auch zitiert, und dann in kunstvoller und achtsamer Art weiter führt. Die Dresdner Paare vermögen allesamt bestens den nicht gerade geringen Ansprüchen dieser Lektion in Sachen Zweisamkeit zu entsprechen. Sie demonstrieren Forsythes manchmal ungewöhnlich erscheinende Erweiterungen der tänzerischen Möglichkeiten nicht, sie lassen dessen typische Führungen der Arme etwa wie selbstverständlich als weitere Varianten, die im Augenblick entstandenen sind erscheinen. Dass dazu auch eine Portion feinen Humors gehört, sieht man bei Chantelle Kerr und Claudio Cangialosi im zweiten der drei Varianten zu Musik aus Händels Concerti, hier ein „A tempo giusti“. Von besonderer Intensität sind die drei Paare, die zu von Jörg Faßmann und Michael Frenzel gespielten Violinen-Duetten von Luciano Berio tanzen. Da gibt es spannende Korrespondenzen zu Balanchine und dessen musikalisierter Optik, zum Beispiel wenn Courtney Richardson und Fabien Voranger in kraftvoller Präsenz den subtilen Klängen ihren Tanz entsprechen lassen können. Jörg Fassmann spielt auch die „Allemande“ aus Bachs Partita für Violine solo, Nr 1, BWV 1002: mit dem Tanz von Sangeun Lee und Casey Ouzounis wird daraus ein Trio.

Um Paare geht es auch u.a. in „Sie war schwarz“ von Mats Ek, jetzt wird die Musik vom Band zugespielt, „Quasi und fantasia“ in der Fassung für Streichquartett, in der kompromisslosen Interpretation des Kronos Quartetts und in ungewöhnlichem, akustischem Bruch, mit traditionellen mongolischen Liedern. Die Paare bei Mats Ek könnten glatt dem Gleichnis von den Kugelmenschen aus Platons Gastmal entsprungen sein, die von den Göttern aus Angst vor ihnen in zwei Hälften getrennt wurden und fortan auf der Suche nach den zu ihnen passenden Hälften sind. Svetlana Gileva und Christian Bauch sind das eine Paar, dem man ebenso gebannt zusieht wie Anna Merkulova und Johannes Schmidt, wenn sie einfach nicht herausfinden können wie und wo eine Vereinigung sie beglücken könnte. Für alle, ob István Simon, Skyler Maxey-Wert, Francesco Pio Ricci, Jenny Laudadio und Raquél Martinez, bietet der vielfältig genutzte Tisch keinen Ort der Ruhe, führt die abgebrochene Treppe ins Nichts, ein hohler Schacht ist hohl, sonst nichts, die Rufe der einsamen Tempotänzer verhallen.

Das hat viel vom absurden Theater, da tanzen Becketts Clowns und warten auf Godot, und Clément Haenen, der „Spitzenschuhmann“, zunächst in schutzloser, aber eben ganz und gar nicht paradiesischer Nacktheit, durchzieht die dunkle Szene mit dem traurigen Charme des einsamen Clowns. Dass man dabei über Gott geradezu stolpern kann, ist einer von vielen genialen Momenten dieser hintersinnigen Geschichte voller schwarzen Humors. Denn Elena Vostrotina ist „Die Schwarze“, zunächst kaum erkennbar in einer schwarzen Hülle aus Stoff, wenn sich häutet, sich ungewöhnlich verfremdet bewegt, dann zu den Liedern aus der Mongolei.

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