„Suddenly Everywhere is Black with People“ von Marcelo Evelin

„Suddenly Everywhere is Black with People“ von Marcelo Evelin

Spuren hinterlassen

Marcelo Evelins „Suddenly Everywhere is Black With People“ bei der Sommerszene Salzburg

Das Stück feiert nach mehr als 80 Aufführungen seine Österreichpremiere.

Salzburg, 02/07/2015

Salzburg. Kurz nach 21 Uhr. Eine Horde dreckiger, fleckiger Zuschauer strömt am Fuße des Mönchsbergs aus dem republic, raus aus dem Theater, hinein in die Stadt. Sie sind markiert. Marcelo Evelins „Suddenly Everything is Black With People“ hat Spuren hinterlassen.

Beim Betreten des abgedunkelten Theaterraums fällt sofort der formale Rahmen auf: Ein etwa 100 m² großes, auf Rumpfhöhe freihängendes Quadrat aus Leuchtstoffröhren markiert in der Raummitte einen abgeschlossenen Kosmos, eine Welt mit eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten. In dieser Welt stehen fünf Tänzer – ein gänzlich nacktes, schwarzbemaltes, gemächlich trabendes Gewirr aus Körperteilen. Das Einlasspersonal instruiert die Zuschauer, sich innerhalb dieses ‚Squares‘ frei zu bewegen. Die diagonal ausgerichteten Bodenlautsprecher etablieren einen unheimlichen Klangteppich aus tiefen, ruhigen und unheimlichen Loops.

Nach wenigen Minuten entsteht eine ungewöhnliche Situation: Circa 120 Zuschauer und fünf Tänzer sind zusammengepfercht auf engstem Raum gefangen. Die entindividualisierte Tänzermasse beginnt sich scheinbar blind, ohne Rücksicht auf andere im Raum Befindliche, schneller fortzubewegen. Sie ist durch feste Griffe, Umklammerungen, Umarmungen und den gemeinsamen Rhythmus der nackten Füße verschmolzen. Teilweise ist es fast unmöglich dem Tänzerknäuel auszuweichen. Die angerempelten Zuschauer realisieren recht bald, dass die schwarze, staubige Kohle im Falle einer Berührung nicht auf der Haut der Tänzer verbleiben wird. Hier wird es dynamisch: Ausweichende, umherspringende, stolpernde Leinenhosen, helle Sakkos, weiße Kleider, neue Pumps. Die gesamte Masse gerät in Bewegung. Rückwärtslaufend, sich drehend, sich gegenseitig auf die Füße steigend entsteht ein Spiel der Aktion und Reaktion. Marcelo Evelin hat eine geniale Choreografie für sein Publikum geschaffen.

Einige Zuschauer flüchten aus dem Käfig. Sie verweilen sitzend oder stehend als Beobachter außerhalb des Quadrats. In dem selbstbestimmten Vollzug der Loslösung von der Gruppe werden sie zu spectatores im eigentlichen Sinn. Der ansonsten offen auslaufende, schwarze Tanzboden erhält durch diese – nun sichtbare und spürbare – Grenze eine offensichtliche Einteilung in ‚Außen‘ und ‚Innen‘. Hier werden physische und psychische Grenzen verhandelt. Das Verlassen der artifiziellen Situation mag verschiedene Gründe haben: Nichtanerkennung der Spielregeln, Überforderung, Unbehaglichkeit oder auch Sorge um die schicken, neuen Klamotten aus dem Summer Sale.

Wenn die Tänzer sich später in Maximalgeschwindigkeit trennen, beginnt für sie die Suche nach Verbindungen zu ihrer Umgebung. Sie bewegen sich – jeder in individueller Manier – durch das Publikum. Quasi unsichtbar verschwinden die kohlschwarzen Performer in der Dunkelheit und in der Masse. Im Gegensatz zu den konzentrischen Kreisen, die die Zuschauer zuvor um die Tänzer bildeten, herrscht nun eine zerstreuende Vereinzelung aller Körper im Raum. Um die eigene Achse rotierend schweifen die Blicke auf der Suche nach den Tänzern umher.

Plötzlich findet sich die Gruppe in einem Gewaltakt wieder – ineinander rennend, verzweifelt um sich schlagend. Nähe, Zuneigung und Verbundenheit, die so schmerzlich verloren wurden, werden wiederhergestellt und finden in einer Szene inniger Zärtlichkeit ihren Höhepunkt.

Evelin kreiert eine spannende, sinnliche Theatererfahrung, die den Puls oftmals schneller schlagen lässt. Er verhandelt die Schwierigkeiten des menschlichen Zusammenlebens, die Komplikationen purer physischer Koexistenz und das Verschwinden des Individuums in der Masse. Leider läuft die Produktion Gefahr, vorschnell mit den Themen ‚Hautfarbe‘ und ‚Diskriminierung‘ in Verbindung gebracht zu werden – was laut dem Choreografen hauptsächlich in Europa der Fall ist. Nichtsdestotrotz eine sehr sehens- bzw. erlebenswerte Produktion.

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