„Until our hearts stop“

Die neue Premiere von Meg Stuart an den Münchner Kammerspielen

Ihr soeben in der Spielhalle bejubeltes „Until our hearts stop“ nimmt Johan Simons zu Saisonende auch mit an seine neue Wirkstätte, die Ruhrtriennale.

München, 21/06/2015

Fünf Spielzeiten hat der Münchner Kammerspiele-Intendant Johan Simons die Arme weit geöffnet für neue Spielformate, für Grenzgänge – besonders für den freien experimentierenden Tanz. Seinem Stammgast, der US-Choreografin und Wahl-Berlinerin Meg Stuart, überließ er sogar die letzte Premiere seiner Intendanz. Ihr soeben in der Spielhalle bejubeltes „Until our hearts stop“ (Bis unsere Herzen aufhören zu schlagen) nimmt er zu Saisonende auch mit an seine neue Wirkstätte, die Ruhrtriennale. Wenn das keine Wertschätzung ist.

Schweiß steckt drin, in dieser Produktion. Monate haben Stuart und die Musiker in gegenseitiger Herausforderung Stück und Komposition erarbeitet. Und was Bassgitarrist Paul Lemp, Schlagzeuger Marc Lohr und Pianist Stefan Rusconi – seitlich an der schwarzen leicht spiegelnden Tanzflächen-Raute (Bühne: Doris Dziersk) – der Stuart'schen Choreo-Inszenierung mit unaufdringlicher Leichtigkeit zuliefern, das ist Jazz erster Klasse: von lyrisch und salon-gediegen bis zur rhythmisch wilden Klangschlacht. Zu Beginn nur ein im Raum schwebender Sound, Cage-ähnlich meditativ, der die am Boden liegenden und sitzenden drei Frauen und drei Männer einzuhüllen scheint. Bald formen sie Paare: aufeinander hockend, kniend, stehend; in fortschreitenden Positionsveränderungen sich zu Zwillings- und Drillings-Wesen, schließlich sich zu einem sich vorwärts wälzenden Körper-Knäuel verknotend – wie man es aus Stuarts „Violet“ und „Sketches“ kennt. Auf einem Sofa, einer jetzt nackt, beschnuppern sich nun die sechs gegenseitig, tasten mit den Lippen sämtliche Körperstellen ab. Immer mehr Kleidungsstücke fallen. In männlichem Ringkampf wird auf nackte Hintern geklatscht. In weiblicher Ekstase tollen zwei Evas herum, machen, Vorderseite zum Publikum, Handstand an der Rückwand, zupfen und zwirbeln gegenseitig an ihren Brüsten. Und vorher gesehene rein skulpturale Klammerfiguren werden jetzt im puren „Haut“-Kostüm zwischen Zärtlichkeit und Gewalt zu quasi erotischen Akten.

Man muss zugeben: Stuart hat die von ihr schon lange gepflegte Kontaktimprovisation diesmal konsequent und risikobereit bis an, nein bis über die Grenze ausgelotet. Dass es bei dieser radikalen Körperintimität nie obszön wird, ist ihr, vor allem den Darstellern als Verdienst anzurechnen. Für sie war dieser Arbeitsprozess, wie sie in der Videoeinführung sagen – und man glaubt ihnen -, befreiend, bereichernd. Für den Zuschauer sieht es anders aus: Stuarts über lange Zeitstrecken ausgewalzte obsessive Körperspielchen bleiben Illustrationen eines Versuchs. Sie gewinnen nie eine künstlerische Qualität wie man sie zum Beispiel bei den „Nackt-Choreografien“ der Franzosen Boris Charmatz oder Olivier Dubois erlebt hat. Uns scheint dieser über zwei Stunden dauernde Abend wie ein einziger Schrei einer choreografisch Ausgebrannten.

Warum sonst die reingeflickten schachbrettartigen Schreittänzchen und Ringelreihen? Warum die Animationen ins natürlich dafür hörbar empfängliche Publikum hinein? Junge Frauen auf der Zuschauertribüne werden gefesselt, Whisky und Gläser werden angeboten. Ach, wie nett. Und dann auch noch einen Schuss Zirkus – wegen der Illusion. Inspiration dafür war der Sammler Gurlitt, für Stuart ein Zauberer, der „Kunstwerke aus der Welt verschwinden lassen konnte“. Der Zauberer ist hier Kammerspiele-Mitglied Kristof Van Boven, der bereits zum dritten Mal mit Stuart arbeitet. Als Conférencier erzählt er dem Mann am Flügel die privatesten Banalitäten. Aber man hört ihm gebannt zu, saugt jede seiner kleinsten Gesten auf. Da ist sie dann, die Magie, die man sonst vermisste.

24., 26., 29. 6., 20 Uhr

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