10 Jahre TanzZeit in Berlin
10 Jahre TanzZeit in Berlin

„Zusammentanzen erzeugt Kommunikation“

Zehn Jahre „Zeit für Tanz in Schulen“ – „TanzZeit“ feiert!

Seit 2005 initiiert Livia Patrizis Berliner Projekt als gemeinnütziger Verein mit einem Team aus KünstlerInnen und Tanzpädagog*innen künstlerische Prozesse in Schulen mit dem Ziel, Tanz als sinnliche und unmittelbare Kunstform erfahrbar zu machen.

Berlin, 30/05/2015

Das Thema kulturelle Bildung ist seit einigen Jahren endlich auch in Deutschland im Fokus der Medien, Fachtagungen, kulturpolitischer Veranstaltungen und politischer Entscheidungsträger in Bund, Ländern und Städten. Künstlerische Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche bestehen bereits seit Jahren oder werden neu auf den Weg gebracht, diskutiert und weiter entwickelt. Die Debatte ist konstruktiv, offen und sucht nach strukturellen Bedingungen für künstlerische Freiräume, die Kinder und Jugendliche einlädt ihre kreativen Ressourcen zu entdecken und gemeinsam zu erproben. Das Programm „Tanz und Theater machen stark!“ des Bundes Verbandes Freie Theater ist eines von derzeit 33 Programmen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des 2013 aufgelegten Programms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ (3 Mio, bisher 176 Projekte) fördert.

Doch bereits Jahre zuvor verfolgten Initiatorin und künstlerische Leiterin Livia Patrizi und viele engagierte Mitstreiter einen anderen Ansatz – Tanz findet in der Schule statt! Seit Frühjahr 2005 initiiert ihr Berliner Projekt „TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen“ als gemeinnütziger Verein mit einem Team aus KünstlerInnen und TanzpädagogInnen künstlerische Prozesse in Schulen mit dem Ziel, Tanz als sinnliche und unmittelbare Kunstform erfahrbar zu machen, alternative Wege des Denkens und Handelns im respektvollen Miteinander zu erproben und damit Kinder und Jugendliche in ihrer physischen, geistigen und emotionalen Entwicklung langfristig zu unterstützen.

Das Education-Projekt der Berliner Philharmoniker „Rhythm is it!“ (2003) mit dem britischen Choreografen Royston Maldoom (langjähriger Mentor von „TanzZeit“) und der deutsche Dokumentarfilm, der diese Arbeit begleitete, begeisterte breite Publikumsschichten und wirkte als Initialzündung für eine konstruktive Hinwendung zum Community Dance. In deren Folge entstanden deutschlandweit zahlreiche Projekte und Initiativen für die sinnvolle Neu-Begegnung von Tanz und Schule. TanzZeit ist aktives Mitglied im 2007 gegründeten Bundesverband Tanz in Schulen e.V., dessen Mitglieder von Bremen bis Bayern, von Mecklenburg, Nordrhein-Westfahlen bis Brandenburg, bestens bundesweit vernetzt, die tanzkünstlerische und pädagogische Professionalität der Tänzer und Choreografen für Tanz in Schulen als selbstverständlicher Bestandteil kultureller Bildung tatkräftig ausbauen.

Damit die Kunstform Tanz allen Kindern einer Klasse, unabhängig von Herkunft, Alter oder Geschlecht zu Gute kommt, muss Tanz in den regulären Unterricht integriert werden. TanzZeit entwickelte im vertrauensvollen, keineswegs immer konfliktfreien Austausch mit Schulleitern, Lehrern und Eltern, strukturelle Neuerungen für Tanz als implementierter Teil des Unterrichts an Berliner Grundschulen, Hauptschulen und Gymnasien. Schulen können sich bewerben und als ausgewiesene TanzZeit-Klasse erproben sich Kinder und Jugendliche unter tatkräftiger Anleitung von Tanzpädagogen und Choreografen ein Schuljahr lang im Tanz.

Zehn Jahre TanzZeit ist ein aufregender Prozess des „Wissens in Bewegung“. Was Livia Patrizi als Initiatorin und künstlerische Leiterin am meisten bewegt, überrascht, inspiriert, enttäuscht, erfreut ist „der Zustand, den man bei jungen Menschen erreicht, wenn die Qualitäten der Vermittlung stimmen: Diese vollkommene Einbeziehung von Körper und Denken. Denken, Fühlen und Kommunikation in Bewegung und im Einklang mit dem Raum um sich herum, wenn man diesen Zustand an jungen Tanzenden beobachtet, ist das sehr bewegend. Überrascht bin ich zusammen mit unserem Team über den anhaltend großen Zuspruch. Viele gute Ideen brauchen Zeit und Stille, um nicht zu versanden. Wir pflegen einen ständigen Reflexionsprozess. Dieser 'Spagat zwischen vielen Schulen, Schultypen und Klassen mit sehr unterschiedlichen Kindern und Jugendlichen und deren kreative Begegnung mit Tanz' wird seit 2010 von der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Wissenschaft Berlin unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar“.

Die Bilanz der zurückliegenden zehn Jahre ist eine Erfolgsgeschichte: 15.000 Kinder und Jugendliche aus 650 Schulklassen von 127 Schulen aller Berliner Bezirke haben an TanzZeit-Projekten mit 100 unterrichtenden KünstlerInnen teilgenommen. Der Unterricht, in dem zwei professionelle Tänzer oder Choreografen nationaler oder internationaler Herkunft im Team im Vormittagsbereich prozessorientiert oder auch auf die Schaffung eines Bühnentanzstücks hin unterrichten, bietet SchülerInnen einen geschützten Raum für das Wagnis Tanz.

Im Wahrnehmen, Empfinden, Erleben, Ausprobieren, Üben, Gestalten, Reflektieren, Verstehen, Präsentieren, Inszenieren und Kommunizieren entdecken junge Menschen ihre eigenen schöpferischen Fähigkeiten. „Die Kinder und Jugendlichen haben mich am meisten inspiriert“, sagt Livia Patrizi voller Anerkennung. “Sie entfalten auch ein künstlerisches Ausdruckspotenzial. Sie denken in Bewegung und dank ihrer sozialen Vielfalt bewegen sie sich unterschiedlich. Zusammentanzen erzeugt Kommunikation, die in der bewussten Vielfalt die Ungleichheit als Potenzial sichtbar macht.“ Auch aus diesem Grund ist sie überzeugt, „das System Schule in Deutschland braucht einen Paradigmenwechsel gegen Normierungen hin zum eigenständigen lustvollen Lernen. In unserer Gegenwart mit ihren völlig veränderten Berufsfeldern brauchen wir eine andere Lernkultur, ein übergreifendes interdisziplinäres Denken und kreatives Handeln. Die jungen Akteure der TanzZeit erfahren sich in unterschiedlichen Tanz-Geschichten als unterschiedliche, interessante Individuen“. Erneut ist jede Berliner Schulklasse herzlich eingeladen, sich für TanzZeit 2015/2016 zu bewerben.

Das TanzZeit-Team bleibt ideenreich auf der Suche. Mit Blick auf die Zukunft strahlt Livia Patrizi energiegeladen: „Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren in vielen Formaten praktische und theoretische Kompetenzen erworben. Unsere TanzZeit-Erfahrungen können wir im Rahmen einer nun beginnenden vierjährigen Koproduktion mit einer Stiftung für die Vermittlungsarbeit an andere Künstler, Lehrer und Partner als Praxismodule und Arbeitsmaterialien für unterschiedliche Altersgruppen weitergeben. Tanz braucht Praxis und regelmäßige Schulklassenaufführungen. Es freut uns, dass wir die Bühne im Podewil, in dem wir seit 2013 beheimatet sind, als kleine Spielstätte für Bühnentanz von Kindern und für Kinder und Jugendliche aufbauen. Ein Choreografen-Kollektiv wird mit der Erarbeitung kleiner Tanzstücke beginnen, es folgen offene Proben und Aufführungen der Jugendkompanie EVOKE für junge Menschen in Berlin. Vermittlung und Bühnentanz verlinkt sich mit dem TanzZeit-Projekt – das fühlt sich rund an! Wir sind sehr gespannt auf die Zukunft!“

TanzZeit beruht auf der Erkenntnis, dass das Erreichen persönlicher Lebensziele entscheidend über den Erwerb von künstlerischen, sozialen und Lernkompetenzen ermöglicht wird. TanzZeit ist Kommunikation. TanzZeit ist Wissen in Bewegung – über mich als Mensch, die Welt in der ich lebe und die Menschen an meiner Seite. Dass jede(r) Einzelne im Erlebnisraum TanzZeit seine Fantasie tanzend in unterschiedlichste Geschichten treibt, belegen die jährlichen Werkstatt-Präsentationen der TanzZeit-Klassen vor Eltern, Lehrern, Geschwistern. Was Kinder und Jugendliche hier körpersprachlich im Zusammenspiel mit einander, im Dialog mit der Musik, mit Requisiten, Text zum emotionalen Erlebnis machen, begeistert ob des künstlerischen Zugriffs auf Themen, die Hingabe und die sichtbare Ausdrucksfähigkeit!

Auftakt ist ein Festakt am 1. Juni im Berliner Podewil Palais, in dem TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen seit 2013 beheimatet ist. Tänzerische Beiträge von Schulkassen, choreografische Einlagen der am Projekt beteiligten KünstlerInnen, Grußworte von Wegbereitern und Wegbegleitern und ein getanztes Geschenk der Kindercompany von Sasha Waltz. Die renommierte Choreografin gibt als langjährige Schirmherrin von TanzZeit ihrer Freude Ausdruck: „Unglaubliche 10 Jahre gibt es TanzZeit jetzt schon. In diesen 10 Jahren habt Ihr sehr viel bewegt und unermüdlich gezeigt, was Tanzen für Kinder und Jugendliche in unserer Zeit eröffnen kann“.

Was Kinder und Jugendliche bewegt, spiegelt das Festival TanzZeit präsentiert! (unter Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller). Vom 2. bis 5. Juni erwartet das breite Publikum ein dichtes Programm, auch die choreografischen Highlights der letzten Jahre kommen in neuer Besetzung auf die Bühne und mit Spannung wird das neue Stück der Jugendcompany EVOKE erwartet.

Karin Schmidt-Feister

Festival „TanzZeit präsentiert!“ – im Podewil, Klosterstraße 68-70
Vorstellungen der Tanzzeit-Klassen & Miniaturen 2. – 4. Juni 16 + 18 Uhr, 5. Juni 16 Uhr;
4. Juni 18 Uhr Jugendcompany EVOKE (Premiere)

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