Gregor Zölligs „Methusalem“ am Theater Bielefeld

Gregor Zölligs „Methusalem“ am Theater Bielefeld

Der letzte Tanz

Gregor Zöllig wechselt von Bielefeld nach Braunschweig

Das Publikum fühlt sich angesprochen und feiert Gregor Zölligs sympathische Truppe in jeder Vorstellung lange und laut. „Alter Falter“ wird der letzte „Zeitsprung“ der Ära Zöllig am 5. Juni heißen. Er knüpft an seinen „Methusalem“ an.

Bielefeld, 22/05/2015

Zehn Jahre Tanztheater Bielefeld. Da passt „Vertrauen“ als Spielzeit-Motto des ostwestfälischen Stadttheaters perfekt. Denn erfolgreicher Tanz basiert nicht nur auf Vertrauen der Tänzer untereinander und zum Choreografen, sondern auch zwischen der Truppe und ihrem Publikum. In Bielefeld war es sozusagen Liebe auf den ersten Blick, als Gregor Zöllig sein frisches, ehrliches Tanztheater vom Westen zum Osten des Teutoburger Waldes verlegte, wo jahrzehntelang eher traditionelles Ballett dominiert hatte. Seit dem ersten „Aha!“-Erlebnis bei der Eröffnung des 5. Internationalen Theaterfestivals OWL (Ostwestfalen-Lippe) mit dem Dreiteiler „Gestern werde ich das Morgen für heute bestimmen“ vertrauen die Bielefelder Zöllig geradezu blind. Sein Credo „künstlerische Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Konflikten unserer modernen Gesellschaft“ trifft Lebenswirklichkeiten bis hinein in den ganz banalen Alltag. Da finden die Leute sich wieder in vielem, was auf der Bühne passiert. Da wird oft zustimmend genickt, gemurmelt, gekichert – und leidenschaftlich applaudiert nach jeder Vorstellung.

Aber plötzlich liest sich das Vorwort, das Zöllig im Spielzeitheft für die nun zu Ende gehende Saison verfasste, wie ein Abschiedsbrief an seine Bielefelder „Tanzfreundinnen und Tanzfreunde“. Denn er wechselt nach Braunschweig, was er erst vor wenigen Wochen öffentlich bekannt gab. „Sie haben unsere Arbeit von Anfang an mit viel Interesse und Aufmerksamkeit verfolgt, so dass es für mich und mein Ensemble ein Leichtes war, in Bielefeld eine künstlerische Heimat zu finden“, schreibt er. „Dafür und auch für Ihre kritische Begleitung sind mein Ensemble und ich Ihnen sehr dankbar!“

Die große Fairwell-Party ging schon als „Fest mit Freunden“ im März über die Bühne. Diese Jubiläums-Gala dokumentierte die Vielseitigkeit des Repertoires und den Fleiß: 40 Tänzerinnen und Tänzer tanzten in den zehn Jahren 44 Tanzstücke von Zöllig und 16 Gastchoreografen. Zu elf Gastspielen war die Kompanie geladen – darunter zum „Tanzolymp“ nach München. Bundesweit positive Aufmerksamkeit erregte insbesondere die Reihe „Zeitsprung“ mit 19 Folgen und über 2000 Laientänzern, angeschoben durch die Mitarbeit von Royston Maldoom, unverwechselbar geprägt durch die Anbindung der einzelnen Folgen an eine jeweilige neue Produktion des Tanztheaters – in dieser Saison gleich dreimal.

„Alter Falter“ wird der letzte „Zeitsprung“ der Ära Zöllig am 5. Juni heißen. Er knüpft an Zölligs letzte Bielefelder Choreografie, „Methusalem“, an. Darin greift der Schweizer das vieldiskutierte Thema des Alterns auf. Unaufhörlich dreht sich, fast eineinhalb Stunden lang, die Drehbühne. Enervierend wummern motorische Rhythmen. Immer wieder marschieren die Tänzer forsch nach vorn, stolpern mitunter oder einer versucht, gegen den Lauf zu kraxeln.

Kindheitserinnerungen werden nostalgisch wiederbelebt und das aktuelle Lebensgefühl ausgelotet. So stellt die unermüdliche Brigitte Uray, die schon in Osnabrück zu Zölligs Truppe gehörte, zerknirscht fest: „Als ich kam, war ich die Jüngste. Jetzt bin ich mit 38 Jahren die Älteste.“ ...um sich gleich ihre Situation schön zu reden: körperlich sei sie doch noch voll in Saft und Kraft – also ganz in der Mitte. Und im Kopf fühle sich‛s sogar an, als gehöre sie zu den ganz Jungen... Über „geschenkte“ Lebensjahre berichtet Tiago Manquino: mit 19 Jahren habe man ihn verloren gegeben, aber mit 21 sei dann doch noch ein bisschen was drin gewesen – und immer wieder, auch jetzt noch, mit 36 Jahren. Schwarze Stofflamellen fallen von oben und bilden einen Vorhang zwischen gestern und heute. Später werden sie weiß und wirken viel freundlicher – gar nicht alt wie Leute mit grauen Haaren, obwohl nun immer mehr Großvatersessel und Lehnstühle von anno dazumal über die Bühne rollen, immer öfter immer verkrümmtere, ergraute Gestalten drin sitzen. Es gibt wenig Neues in diesem Stück. Die üblichen Referenzen an das Tanztheater der großen Ikone aus Zölligs Essener Ausbildungszeit wirken fast peinlich plump. Aber das Publikum fühlt sich angesprochen und feiert Zölligs sympathische Truppe am Ende jeder Vorstellung lange und laut.

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