LEV mit „House“

LEV mit „House“

Grenzgängerisches

Dance-Festival 2015

Offensichtlich unter dem zeitgeistig gesellschaftlichen Druck „höher, schneller, neuartiger“ treiben die aktuellen Choreografen den Körper zu immer ausgefalleneren Bewegungen.

München, 17/05/2015

Noch läuft Münchens Dance 2015, aber so viel lässt sich jetzt schon sagen: Offensichtlich unter dem zeitgeistig gesellschaftlichen Druck „höher, schneller, neuartiger“ treiben die aktuellen Choreografen den Körper zu immer ausgefalleneren Bewegungen. Hatten sich beim Dance-Auftakt die Japanerin Kaori Ito und ihre Mit-Tänzer total unorganisch groteske Gesten aus den Gelenken gerenkt, erlebte man im Carl-Orff-Saal des Gasteig gerade die von der berühmten Batsheva Dance Company geprägte Israelin Sharon Eyal und ihre sechs Tänzer als „fremd-bewegliche“ Wesen eines zukünftigen Erdzeitalters: zunächst in hautfarbenen, dann in glänzigen schwarzen Ganztrikots, biegen, verschieben, schlängeln, rucken sie jeden Körperteil isoliert. Es ist, als ob sie japanischen Butoh, US-Break- und Jazzdance, ekstatischen Rave und Ballett-Klassik in ihren fantastisch trainierten Bodys verschmolzen hätten. Mit dieser Gaga-Technik, so ihr offizieller Begriff, schleichen sie wie elegante Echsen umeinander, huschen zusammen wie Dino-Vögel, feiern in breitbeinigen Positionen, mit lauten Schreien, indigene Stammes-Rituale. Dabei durchgehend im und auch gegen den Techno-Takt von Eyals Musiker-Gatten Gai Behar. Eyals einstündiges „House“ - ein Titel, der Ohr-zerreißende Lautstärke wohl bedingt – ist eine phänomenal brillante Körper-Show, von der man allerdings nach dreißig Minuten plumpssatt ist.

Zum anderen konnte man bei Dance eine fortschreitende Auflösung von Genre-Grenzen beobachten: Die Kreation „The Land“ der Gruppe Peeping Tom mit Residenztheater-Schauspielern kann man als stummes Bewegungs-Schauspiel bezeichnen. Helena Waldmanns hervorragendes „Made in Bangladesh“, auch im Carl-Orff-Saal, ist eine Tanz-Doku über die bekannte Textil-Sklaverei. Vor dem Hintergrund von Projektionen und Videos mit Näherinnen in riesigen Hallen und eingestürzten Fabriken stampft ein professionelles indisches Kathak-Ensemble seine traditionellen Rhythmen derart präzise in den Boden, wiederholt so ausdauernd einige Armbewegungen des klassischen Kathak-Stils, dass die Fronarbeit der bangladeschischen Arbeiterinnen dahinter körperlich fühlbar wird. Dass Waldmann die Ausbeutung dieser Frauen mit dem „Kunstprekariat hierzulande kurz schließt“ (so im Dance-Programmheft), ist, so hofft man, eine wild überzogene Bemerkung.

Und dann in der Muffathalle „Antigone Sr. Twenty Looks or Paris is burning at the Judson Church“ des US-Choreographen Trajal Harrell! Dieses lange, aber mit Kopf, Schwulen-Witz und -Stolz gemachte Stück enthüllt sich als eine – äußerst gelungene – musikalische Historymix-Satire auf Griechen-Drama und die New Yorker Drag-Szene. Harrell ist ein echter Griot, ein Talkmaster bester afro-amerikanischer Sorte. Seine drei Kollegen geben Kostproben von schlenkerigem Freestyle-Tanz in ihren quadratischen Lichtfeldern. Vor allem sind sie die schrägsten supersexy Models, wenn sie auf hohen Hacken oder stelzend auf Zehenspitzen ihre Kreationen auf dem Catwalk präsentieren. Sofadecken, Lederjacken, Handtücher und und und geknotet, geschlungen um Kopf und Hüfte – da gäbe es für jeden Hautcouturier was abzuschauen. Und singen tun die Vier auch. „Alles kann Tanz sein“ war das Credo der New Yorker Judson-Church-Bewegung. Harrell hat's ernst genommen.

Noch mehr Grenzgängerisches: „We love Arabs“ von Hillel Kogan will sich als politisch-philosophische Auseinandersetzung über israelisch-arabische Befindlichkeiten (15.-17. 5., Schauburg). Und „Coup Fatal“ ist ein Konzert-&Tanzabend zwischen Barock, Jazz und Rock von Alain Platels ballets C de la B mit dreizehn kongolesischen Musikern und dem Countertenor Serge Kakudji (15./16. 5., Kammerspiele).

Für weitere Events bis 17. 5.: www.dance-muenchen.de

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