Nacho Duatos „Dornröschen“ am Staatsballett Berlin

Nacho Duatos „Dornröschen“ am Staatsballett Berlin

Prachtvolle Zuckerbäckerei ohne Magie

Nacho Duatos „Dornröschen“ beim Staatsballett Berlin

Die Skeptiker haben Recht behalten. Duatos aufpolierter Klassiker ist zwar stellenweise prachtvoll anzusehen, und er wird auch höchst respektabel getanzt. Das Wichtigste, das ein Ballett, gerade ein märchenhaftes, haben sollte, fehlt: Seele.

Berlin, 15/02/2015

Schon vor der Premiere gab es mehr Bedenkenträger als Befürworter: Dass Nacho Duato ausgerechnet sein 2011 in St. Petersburg uraufgeführtes „Dornröschen“ für seinen Einstand beim Staatsballett Berlin auswählte, stieß meistenorts auf Skepsis und Unverständnis. Warum nicht etwas Neues, etwas, das dem Staatsballett auf Körper und Füße geschneidert ist? Vor allem aber etwas, das dem Anspruch Berlins, auch eine Hauptstadt des Balletts sein zu wollen, gerecht werden könnte? Nach der Premiere des Berliner „Dornröschens“ muss man sagen: Die Skeptiker haben Recht behalten. Nacho Duatos aufpolierter Klassiker ist zwar stellenweise prachtvoll anzusehen, und er wird auch höchst respektabel getanzt. Aber es fehlt ihm die eigene Ausstrahlung, es fehlt ein mutiger choreografischer Zugriff, es fehlt vor allem das Wichtigste, das ein Ballett, auch und gerade ein märchenhaftes, haben sollte: die Seele. Die Seele, die Tschaikowskys Musik so wunderbar voratmet, mit ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Tiefgang. Es fehlt der magische Zauber, der die Zuschauer vergessen lässt, wo sie sind, und der sie mit reichen inneren Bildern nach Hause, in die Realität, entlässt.

Nacho Duato ist angetreten mit dem Anspruch, diesen Klassiker par excellence für die heutige Zeit zu adaptieren. Er streicht vieles, was in der Originalfassung aus 1890 eher Füllwerk war – diverse Divertissements, einige Märchenfiguren aus dem 3. Akt (übrig blieben Rotkäppchen, Froschkönig, Aschenputtel und die Schöne und das Biest), die heute so verstaubt wirkenden Pantomimen. Er entschlackt den Tanz mancherorts von geziertem und künstlich wirkendem Getue – aber er büßt dabei auch an vielen Stellen das Strahlende ein, das, was so einen Klassiker im Tanz erst richtig zum Blühen bringt. Mehr noch: er ersetzt das klassisch-Gekünstelte durch pseudomodernen Manierismus. Diese Mischung aus doch noch ein bisschen Petipa-Klassik und ein bisschen Moderne im Duato-Stil mit abgeknickten Händen und schlenkernden Armen, mit vielen unvermittelten Arabesken, mit dem tiefer gelegten Körperschwerpunkt und den immer wieder aus der Senkrechten gekippten Oberkörpern mutet seltsam unentschieden an. Duato kombiniert hier die Stärke des Staatsballetts, die russische Schule, mit modernistischen Ansätzen, ohne zu einem wirklich eigenen Stil zu finden. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

Aufgrund der opulenten Kostüme von Angelina Atlagic ist das zwar durchaus prachtvoll anzusehen, mit den höchst eleganten und voluminös drapierten Gewändern in pudrigen Pastellfarben (da wurden offenbar weder Kosten noch Mühen gescheut). Aber es bleibt in einem ebenso pudrig-klebrigen Dekor stecken. Atlagics Bühnenbild ist eine Mischung aus Zuckerbäckerei und aufgepustetem Baiser, im Prolog rein weiß mit Stuck-Ornamenten, im 1. Akt dann mit einem an Bildschirm-Schoner erinnernden wölkchenbetupften Himmelblau mit grünem Laub, im 2. Akt der sattsam bekannte Märchenwald inklusive romantischem Mondlicht-See mit Silber-Nachen (in dem die Fliederfee den Prinzen zum Schloss geleitet), und im 3. Akt schließlich kitschige Pfauen-Ornamente in Gold und Weiß und Blau. Auch hier fehlt der Zauber, das Magische, das Beseelte. Das bleibt alles kalt, distanziert, oberflächlich drapiert.

Und es scheint, als habe diese Kühle auch von den Tänzern Besitz ergriffen. Iana Salenko als Aurora meistert die Schwierigkeiten ihres Parts mit bewundernswerter Eleganz und Leichte und einer phänomenalen Technik, und doch fehlt auch ihr das innere Glitzern, das Spielerische, das Strahlen – was nicht an ihr liegt, sondern an dem Tanzstil, den sie hier zu meistern hat. Durch das Rosen-Adagio, das eigentlich von der Ruhe lebt, von Grazie und Anmut, lässt Duato die arme Salenko regelrecht hetzen, und vor lauter Aufregung, das Timing zu verpatzen, verzittert sie die berühmten Balancen dann doch etwas. Leonid Sarafanov ist ein großartiger Tänzer, aber ein blasser Prinz Désiré – was ebenfalls nicht an ihm liegt, sondern daran, dass Duato ihm kaum Raum zur Entfaltung gönnt. Nur im Grand Pas de Deux im 3. Akt erhält man eine Ahnung davon, was er zeigen sein könnte, wenn er nur dürfte. Warum Duato Sarafanov dafür eigens aus St. Petersburg einfliegen ließ, erschließt sich nicht so recht.

Rishat Yulbarisov ist Carabosse – und hat den unglücklichsten Part in diesem Stück. Groß und breitschultrig mit Hochsteckfrisur mutet er in seinem voluminösen grünlich schillernden schwarzen Ballkleid eher an wie ein Transenverschnitt, aber nicht wie eine böse Fee. Das androgyn Geheimnisvolle, das Unheimliche und gerade dadurch faszinierende Böse, das in anderen „Dornröschen“-Versionen von diesem Part ausgeht (man denke nur an Richard Cragun in Marcia Haydées Fassung!) – hier fehlt es gänzlich. Diese Carabosse wirkt affektiert und künstlich, und manchmal gleitet sie sogar ins Lächerliche ab. Auch tänzerisch muss sich Yulbarisov auf viel Gestik, böse Blicke und wedelnde Arme beschränken. Nur die sechs kleinen schwarzen Teufelchen, die ihm Duato zur Seite stellt, bringen etwas Leben in die Szenerie und hauchen dem ganzen ein Quäntchen Dämonie ein.

Souverän und blitzsauber die sechs guten Feen, unter denen vor allem Sarah Mestrovic als Fliederfee heraussticht, aber auch die drei Edelsteine im 3. Akt, insbesondere der Amethyst von Krasina Pavlova.
Das Orchester der Deutschen Oper unter der souveränen Leitung von Robert Reimer spielt den Tschaikowsky mit dem nötigen Volumen und mit ebenso viel Feinfühligkeit – was die Diskrepanz zum Geschehen auf der Bühne eher noch unterstreicht. Denn Musik und Tanz gehen hier leider nur allzu oft gerade keine künstlerische Symbiose ein.

Seine Version von „Dornröschen“ sei, so sagte Duato im Vorfeld der Premiere, „leichter und humorvoller“ als die klassische Version. Sie könne jüngere Menschen erreichen, Leute, die keine regulären Ballett-Liebhaber sind. Man darf bezweifeln, dass ihm das mit diesem Stück wirklich gelingt. Für viele wird es eher ein museales Werk bleiben, ein gekünsteltes Zuckerbäcker-Stück, das zwar durchaus märchenhafte Züge hat, aber eben doch letztlich im Kitsch erstickt. Das Publikum belohnte Tänzer und Orchester mit begeistertem, den Ballett-Intendanten eher mit höflichem Beifall, in den sich einige Buhs mischten.

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