„STRTCH“ von Hermann Heisig

„STRTCH“ von Hermann Heisig

Weder sinnlos noch flach

Doppelabend mit Anna Till und Hermann Heisig in Hellerau

Die Reihe „Linie 08“ der freien Tanzszene Dresdens im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau zeigt immer deutlicher, dass die langfristige Unterstützung und Förderung der Freischaffenden Früchte trägt.

Dresden, 06/12/2014

Die Reihe „Linie 08“ der freien Tanzszene Dresdens im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau zeigt immer deutlicher, dass die langfristige Unterstützung und Förderung der Freischaffenden Früchte trägt. Ein Doppelabend mit Arbeiten von Anna Till und Hermann Heisig beweist die Wertschätzung durch das Haus: Hermann Heisig ist für den ersten Sächsischen Tanzpreis nominiert.

Eins gilt für Hermann Heisig nicht: Früher war nicht mehr Lametta. Der ganze Nancy-Spero-Saal des Festspielhauses glitzert ohne falsche Bescheidenheit. Irgendwie überrascht das nicht. Hermann Heisig lässt es nunmal gern krachen. Mit seiner irrwitzigen Arbeit „SLAP/STICK“ hat er mühelos das Publikum auf seine Seite gezogen und den Preis der ersten Sächsischen Tanzplattform abgeräumt. In seiner neuen Arbeit „STRTCH“, mit der er für den ersten Sächsischen Tanzpreis nominiert ist, geht er weiter in diese Richtung und lotet die Tiefen des Unsinns, oder besser Nicht-Sinns aus. Ein stringent konzeptloses Konzept. Aber eigentlich doch nicht. Begleitet von harmlosem Vogelgezwitscher beginnt ein zielloses Wuseln dreier Tänzer. Hermann Heisig ist dabei der verzweifelte Master of Ceremonies. Er liebt das Steife, leicht Linkische im Ausdruck, die wiederholten bedeutungsschwangeren Abgänge, die in scheinbar immer gleiche Szenen münden. Völlig unbekümmert sind die Tänzer darin vertieft, nichts zu tun. Elpida Orfanidou schafft es, halb abwesend durch nur leicht geöffnete Augen in die Runde zu schauen und sich minutenlang die Schnürsenkel zu binden. Die bukolischen Momente werden stetig weiter überhöht bis ins feierlich Lobpreisende. Eine Huldigung an den Nonsens.

Dieser Wahnsinn hat aber tatsächlich Methode. Wenn die Tänzer ins Beatboxing verfallen, beginnt eine Sequenz, in der sich einzelne Wörter durch ihre ständige Wiederholung von ganz allein zu verändern scheinen. So wird ganz entspannt und spielerisch aus „out“ irgendwann „aunt“. Plus uncle. Diese akustische Echo-Suche wird von handgemachten Sounds begleitet, bis schließlich eine Art weißer, flauschiger Katzenschwanz aus einer Ecke winkt. Das Lachen darüber ist ein verwundertes. Alles scheint absurd, aber das Ende ist noch lange nicht erreicht. Hermann Heisig wartet mit immer weiteren Überraschungen auf.

Bemerkenswert ist dabei, dass sich diese Arbeit bei aller Fülle an Ideen und vermeintlicher Absenz einer klaren Aussage dramaturgisch tatsächlich über siebzig Minuten trägt. In diesem choreografierten Nichts erfolgt schließlich, ganz ähnlich wie bereits in „SLAP/STICK“ eine Art Tanz um das goldene Kalb, eine ritualisierte Verehrung eigentlich unverständlich banaler Gegenstände. Den Schluss bildet ein wunderbar „misslungenes“ Schlusswort, eine Erläuterung, die nicht erfolgt. Natürlich nicht. So weit wagt sich in der Dresdner freien Szene momentan kaum jemand auf das dünne Eis der tänzerischen Metaebene. Die Sicherheit, mit der das Hermann Heisig tut, macht diese Arbeit zu einem definitiv starken Kandidaten für den Sächsischen Tanzpreis.

Die zweite Arbeit des Abends, Anna Tills „FLAT SCREAM“, muss vor dem Hintergrund dieses starken Eindrucks zwangsläufig verblassen. Nach der Schwerelosigkeit von „STRTCH“ erscheinen die drei Tänzerinnen fast schon behäbig, was aber keinesfalls qualitativ zu betrachten ist. In einer zweidimensionalen, also „flachen“ Bildsprache bewegen sich die Tänzerinnen durch ein Bühnenbild, das wie eine Baustelle wirkt. Kleine Ziegelwände, ein Spiegel mit aufgemaltem Maschendrahtzaun, mehrere weiße Projektionsflächen, die durchlöchert und zerschlitzt sind, und somit das Durchbrechen dieser Wände ermöglichen. Auch hier blitzt immer wieder eine feine Form von Humor hervor, wenn die Dinge scheinbar abgearbeitet werden müssen. Doch der Gesamtgestus bleibt getragen. Ich tanze, also bedeute ich. Der statische Charakter dieser Arbeit ist dann eine ernste Sache. In starren Posen werden Bilder assoziiert, die man so irgendwie zu kennen scheint, alltägliche Situationen. Und doch ist alles unbekannt. Man fragt sich, was man tatsächlich sieht. Da muss man wohl zweimal hinschauen.
 

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