„Belleville“ von Samir Akika

„Belleville“ von Samir Akika

Multikulti-Disko in Bremen

Samir Akikas internationales Tanzprojekt „Belleville“ am Theater Bremen

Am Ende löst sich das neue Stück von Hauschoreograf Akika in voller Harmonie auf und entlässt das Publikum mit dem guten Gefühl, dass wir uns auf dieser Welt im Grunde doch alle gut verstehen.

Bremen, 30/11/2014

„Belleville“ ist eine bunte Stadt voller Energie und unterschiedlicher Kulturen, das Bühnenbild besteht aus Wellblechhütten und leuchtenden Neonschildern. Natürlich gibt es auch Probleme in der „schönen Stadt“ - zwischenmenschliche Konflikte und kulturelles Unverständnis. Am Ende des zweistündigen Tanzabends jedoch löst sich das neue Stück von Hauschoreograf Samir Akika in voller Harmonie auf und entlässt das Publikum mit dem guten Gefühl, dass wir uns auf dieser Welt im Grunde doch alle gut verstehen.

Flucht, Migration, Multikulturalität – menschliches Zusammenleben in unserer nicht mehr nur wirtschaftlich, sondern zunehmend kulturell globalisierten Welt sind hochaktuelle Themen. Nicht nur Akika widmet sich diesen in einem zehnwöchigen Projekt mit sechs Tänzerinnen und Tänzern aus Indien, Russland und Nigeria und den Mitgliedern seiner Kompanie Unusual Symptoms, sondern sie bilden unter dem Titel „in transit? einen ganzen Bremer Spielzeitschwerpunkt. Damit bewegt sich das Theater ganz im Trend kultureller, gesellschaftlicher und politischer Diskurse, die verschiedenste Strategien entwickeln, testen und wieder verwerfen, um sich den Herausforderungen einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft zu stellen. Doch über die reine Präsentation kultureller Stereotype, die Subsumierung aller unter dem Dach westlicher Popkultur und der Auflösung in einer alles umspannenden (Volkstanz)Harmonie kommt dieser Premierenabend nicht hinaus.

So tanzen die indischen Tänzer klassisch indisch, die afrikanischen Tänzer präsentieren sich energiegeladen, aggressiv und sexualisiert und entsprechen damit Afrikaklischees. Bewegungselemente, die auf Tanztraditionen der einzelnen Länder basieren, werden zwar von allen Tänzern aufgenommen, kommen aber über das Kopieren des Bewegungsablaufs nicht hinaus. Traditionen bleiben nebeneinander stehen und verschenken damit das Potential, Neues zu schaffen. Nur HipHop und Breakdance tanzen alle, kulturelle Identität verwischt vollständig. Ob dies eine kritische Anmerkung an den Export westlicher Popkultur ist oder ob dieses Feuerwerk an harten Technobeats und fast akrobatisch anmutenden Tanzszenen das Publikum mitreißen und beeindrucken soll, wird nicht ganz klar.

Die Tänzer geben alles und beeindrucken durch eine enorme körperliche Belastbarkeit und Tanzfreude. Leise Töne und Feinheiten in der tänzerischen Bewegung sucht man dagegen vergebens. Erzählt wird nicht mit Tanz, sondern hauptsächlich pantomimisch oder sprachlich. Tänzerisch findet weder eine interkulturelle Begegnung noch eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema des Abends statt.

Und doch, das Publikum jubelt. Anhaltender Applaus, vereinzelte Bravo-Rufe und Fußgetrappel. Man war dabei bei diesem Fest. Die Momente angedeuteter Konflikte vergisst man schnell wieder und zurück bleibt das gute Gefühl einen intensiven Abend mit mitreißenden Beats und bewundernswerten körperlichen Leistungen erlebt zu haben.

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