„Boxom“ von Helge Letonja

„Boxom“ von Helge Letonja 

Im Begehren der Kontinente

„Boxom“ von Helge Letonja im Pfalzbau Ludwigshafen

Africtions, das Festival für zeitgenössischen Tanz vom afrikanischen Kontinent, zeigt mit „Boxom“ Europa und Afrika in einer starken Verbindung. Im Pfalzbau hat das Stück seine Uraufführung gehabt, nun geht es weiter nach Bremen.

Ludwigshafen, 03/11/2014

Eine Frau im traditionellen afrikanischen Gewand singt von der Einsamkeit, heimatlos und ohne Mutter. Eine andere in weißer langer Robe bezeichnet sich als Venus unserer Träume, sie weiß über unsere Fantasien Bescheid. Und eine Frau im roten Kleid mit goldenen Stöckelschuhen ist auf der Suche nach etwas. So lässt sich die Reihe fortsetzen, denn es gibt in „Boxom“ noch weitere eindrucksvolle Szenen wie etwa die, mit der Frau im blauen Kleid und mit Sonnenbrille, von Teppichhändlern bedrängt. Oder jene Frau im schwazen Kleid, die ihrer Zunge freies Spiel lässt und damit verbunden ihren gesamten körperlichen Ausdruck ins Begehren setzt. Darum geht es dem in Bremen ansässigen Choreografen Helge Letonja. Er gibt in „Boxom“ diesem mal schillernden, mal trügerischen, mal verzweifelten, mal lebensfrohen oder zärtlich innigen Begehren eine Form. Denn es ist das Begehren, das die vielgestaltigen Denkmuster über den jeweiligen Kontinent prägt und unsere Fantansie ankurbelt. Von Europa nach Afrika und umgekehrt von Afrika nach Europa verläuft die von Letonja gezogene Achse. Er lässt die Knüpfungspunkte über Sprache, Musik, Bewegung und Kostüme in beide Richtungen laufen. „Willst Du mich heiraten?“, fragt das Ensemble, als es von der Bühne hinunter in den Zuschauerraum kommt und jedem die Hand hinhält.

„Boxom“ ist im Senegal und der dort weit verbreiteten Sprache Wolof ein gestisches Bild für die Gesellschaft in Form eines zusammengeknüllten Papiers. In seinen Faltlinien lässt sich das bunte gesellschaftliche Treiben wie ein sich ständig wandelndes Geflecht erkennen. Wenn der Österreicher Letonja seine Tänzer in Bremen mit Künstlern aus dem Senegal, Kamerun, Simbabwe, Togo und der Elfenbeinküste zusammen bringt, steht das allein schon für ein dynamisches transkulturelles Ereignis. Besonders, die Schwierigkeiten bedenkend, rechtzeitig ein Visum für Künstler aus Afrika zu bekommen. Jetzt ist aus dieser Verbindung ein grandioses Kunstwerk entstanden, das Tanz, Gesang, Kostüm und Musik in ein neues Verhältnis setzt. So hat der Choreograf etwa die international bekannte Modedesignerin Adama Paris für „Boxom“ gewinnen können. Sie hat dem Stück ein vielfarbiges und zugleich vielseitiges Kleid verpasst. Darin blitzt Europa ebenso auf wie der afrikanische Kontinent. Für das musikalische Geflecht von „Boxom“ hat der Klangküntler Florian Tippe eine äußerst sensible und changierende Soundtextur geschaffen. Darin eingearbeitet sind die Lieder der Soulmusikerin Y'Akoto. In ihren Texten und mit der Stimme von Soraya Ebelle schwappt das Begehren wie eine Welle über einen hinweg, bereit einen fortzutragen. Doch Letonja setzt einem möglichen Strudel bald eine andere Dynamik entgegen. So sind seiner Choreografie bewusst stereotype Elemente und Konstruktionen von Geschlechtern eingesponnen, um europäische und afrikanische Denk- oder Handlungsstrukturen offen zu legen. Wenn Männer in der Gruppe, den Rhythmus auf der Zunge und im Körper, zärtlich oder kämpferisch verbunden sind oder sich um den Körper einer Frau reißen, wird das deutlich.

Vor drei Jahren hat Helge Letonja mit seinem steptext dance project eine Tanz-Trilogie geschaffen und mit dem übergeordneten Titel „Displacing Future“ versehen. Darin ging es ihm um eine Zukunft, die verschoben, ersetzt oder der Verdrängung anheim fällt. In „Boxom“, sieht man ein künstlerisches Geflecht am Werk, das auf dieser Idee aufbaut. Denn wenn eine Tänzerin singt: „Ich habe ein ewiges Recht zu Leben“, dann betrifft das alle Menschen auf der Erde und rückt die Zukunft aller Kontinente in ein neues Licht.

Premiere in Bremen: 6. November im Theater am Goetheplatz
 

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