„Utopia of Another Continent“ von Natalia Horecna

„Utopia of Another Continent“ von Natalia Horecna

Eine neue Reise in innere Welten

„Utopia of Another Continent“ von Natalia Horecna und dem Finnischen Nationalballett

Der Theater-Spot im zeitgenössischen Finnischen Opernhaus gilt Natalia Horecna, jener slowakischen Choreografin, die als Tänzerin bei John Neumeier und dann viele Jahre beim Nederlands Dans Theater reüssierte.

Helsinki, 24/09/2014

Helsinki, im September 2014. Das Licht strömt in alle Hautporen. Alle Tage meiner Reise scheint die Sonne, es bläut der Himmel und die aus Wien Anreisende staunt nicht schlecht über diese enorme Kraft der nordischen Lichtenergie. Intensiv und direkt. Sie lässt einen nicht unberührt. So wie vor vielen Jahren Werke von Jorma Uotinen und dann von Tero Saarinen.

Der Theater-Spot im zeitgenössischen Finnischen Opernhaus aber gilt nun Natalia Horecna, jener slowakischen Choreografin, die als Tänzerin bei John Neumeier und dann viele Jahre beim Nederlands Dans Theater reüssierte und noch nicht all zu lange für beide Adressen inszenatorisch tätig ist. Und mittlerweile darüber hinaus. 2015 steht ein Auftrag bei Jean-Christophe Maillots Ballets de Monte Carlo ins Haus, dann geht es wieder in den Norden. Mit der Produktion „Contra Clockwise Witness“, die Horecna im Herbst 2013 an der Wiener Staatsoper herausbrachte, ist sie für den Taglioni Prize der Malakhov Foundation in der Kategorie „Best young choreographer“ nominiert. Und Kenneth Greve, der Direktor des Finnish National Ballet, hat kurz vor der Premiere noch die Reihenfolge seines Programms geändert. Mit der gut bekannten, späten Hommage an den Post Modern Dance, den „Glass Pieces“ von Jerome Robbins (in der Einstudierung von Bart Cook, mit Orchester unter Dalia Stasevska) wird begonnen, mit Jacopo Godanis auf physischer Virtuosität und Elastizität gebauter, deutlich von Forsythe geprägter Struktur „Spazio-Tempo“ (Musik von 48Nord), das 2010 für das Ballett der Semperoper entstanden war, fortgesetzt und ans Ende rückt der ursprünglich an den Anfang gesetzte Einakter von Horecna „Utopia of Another Continent“.

In der Tat wäre ich wohl nicht der Einladung des Finnish National Ballet gefolgt, wenn es im Premierenprogramm, das seit 19. September läuft, nicht auch eine Uraufführung gegeben hätte. Dass Horecna ans Abendende rückte, scheint logisch, denn auf jene Arbeiten, die ich bisher von ihr gesehen habe, lässt sich schwer etwas nachsetzen. Sie macht einen ratlos im besten Sinne, aber lässt einen keinesfalls kalt. Robbins steht mit seinem Stück aus 1983 noch für die 70er Jahre, Godani liebt das Publikum für seine Physikalität, so gesehen mag man seine ausgefeilte Konstruktion noch den 90er Jahren zurechnen. Und Horecna? Sie bringt, wie es auch Kenneth Greve anlässlich der Premiere formulierte, die Emotion zurück auf die Bühne und sorgt mit ihrer Arbeitsweise für neue, ungeschönte Abenteuer in der Erfahrungswelt von Tänzern. Durch ihren spezifischen Umgang mit dem Ensemble, der erneut gelobt wurde, gelingt es ihr, Tänzer und Tänzerinnen zu deren möglicherweise sogar ursprünglichen Eigenart zu verführen. Sie sprengt den Panzer der Neoklassik, schaut dahinter und fast scheint es, als ob sie auf diese Art Tänzern eine unverstellte Individualität zurückgeben würde. Die Suche nach der Authentizität in einem Ballett-Theater, das nicht Halt macht vor Gefühlsreichtum, Farbe und Theatralik. Dass da ästhetische Gefahren drohen, verwundert nicht. Was den einen sanft anrührt, den anderen zum Weinen bringt, findet der Dritte kitschig. Natalia Horecna balanciert solcherart auf einem schmalen Grat. „Utopia of Another Continent“ mit ausgewählter Musik von Terry Riley, dem Kronos Quartet und Max Richter (vom Tonträger) wirkt in gewisser Weise wie eine Fortsetzung ihres Wiener Zeitreise-Stücks. Im Zentrum ein verzweifelter Mann in dunklem Anzug, den eine Lichtgestalt, ein blau gewandetes, wie ein Troll anmutendes Mädchen mit drei soldatisch wirkenden Begleitern (Kostüme: Christiane Devos), immer wieder aufrüttelt. Dessen Bedeutung und Notwendigkeit für ein besseres, einträchtiges Leben will er bis zum bitteren Ende, das beiden droht, nicht erkennen. Mit mehr als 30 Tänzern und Tänzerinnen inszeniert Horecna plastisch die inneren Welten der Hauptfigur, die durchaus vielschichtig und komödiantisch sind. Das Finnische Nationalballett, das übrigens insgesamt 73 Tänzer zählt und sich bereits in den beiden Choreografien davor überzeugend präsentiert hatte, scheint im Horecna-Werk trotz ungewohnter Wege gut unterwegs. Herausragend Antti Keinänen als Mensch und Sara Saviola als Mädchen.

Kenneth Greve (46), Landsmann seiner Vorgängerin Dinna Björn (2001 bis 2008), und wie sie ehemals Mitglied des Königlichen Dänischen Balletts, ist auch in Mitteleuropa kein Unbekannter. Nach dem New York City Ballet, dem American Ballet Theatre und Nurejews Paris, holte Elena Tschernichova den großgewachsenen imposanten Solisten nach Wien, Stuttgart folgte, ehe er nach Kopenhagen zurückging. In Helsinki hat er kürzlich seine Vertragsverlängerung bis 2018 unterschrieben. Im Gespräch ist es ihm wichtig, zu betonen, dass Kinder und Jugendliche für klassisches und zeitgenössisches Ballett begeistert werden müssen. Es sei seine Aufgabe, ein solches Interesse anzuzünden, indem man die Kids dort abhole wo sie sich befinden. Und die seien eben mittlerweile durch die digitalen Medien an Möglichkeiten gewöhnt mit denen traditionelles Theater nur schwer mithalten kann. Greve macht sich für eine Erneuerung der Klassiker im Sinne eines zeitgemäßen Blicks stark und organisiert außerdem eine Reihe von Veranstaltungen für Jugendliche, die aktiv eingebunden werden und so Berührungsängste vor dem Theater aber auch vor klassischem Tanz verlieren sollen. Wenn es nach Greve geht, soll sich ganz Finnland tanzend nicht nur Sport treibend bewegen, wobei HipHop ebenso wichtig ist wie traditionelle Tanzformen. In der neu organisierten Ballettschule (mit rund zweihundert Schülern), die seit kurzem der gebürtige belgische Tänzer Wilfried Jacobs pädagogisch koordiniert, wird Greves Verständnis von stilistischer Diversität umgesetzt. Der pädagogische Fokus liegt, wie es Greve salopp formuliert, auf mehr Zentraleuropa und weniger russischer Schule. Auf ein betont pluralistisches Repertoire will Greve auch künftig setzen. Neben eigenen Choreografien, seine „Snow Queen“ mit Auftragsmusik von Tuomas Kantelinen (2012) entpuppte sich zum eigenen Erstaunen als Publikumshit, holt Greve im kommenden Frühjahr Jorma Elos 2010 in Wien uraufgeführten „Sommernachtstraum“ nach Helsinki. Was er für 2017 plant, da feiert Finnland seine 100jährige Unabhängigkeit, will er noch nicht verraten.
 

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