„Accumulalalation“ von Irina Demina

„Accumulalalation“ von Irina Demina

Auf den Spuren des Autors

Irina Deminas „Accumulalalation“ in Hamburg

Potentielle Urheberrechtsverletzungen an Trisha Browns Werken? Mit ihrer Performance findet die Choreografin Irina Demina einen Weg, diese zu umgehen.

Hamburg, 16/09/2014

Von Katya Statkus

Nach der Performance von Irina Demina würde man gerne sagen: auf der Tanzkarte von Hamburg ist ein neuer Ort erstanden. Und zwar der Klub „Golem“, gegenüber dem alten Fischmarkt. Konnte man sich vorher schwer vorstellen, dass dieser Ort perfekt für eine Konzepttanzaufführung passen würde, ist das jetzt möglich -dank der Offenheit des Programmdirektors und dem Mut der Choreografin.

In einem kleinen Raum sitzen die Zuschauer in unmittelbarer Nähe der Performerin, direkt dahinter ist schon die Bar. Irina Demina bittet das Publikum, zwei Sätze aus dem Programmheft zu lesen: Zitate über die Abwesenheit einer Bewegungsschrift und über die Remix-Kultur, in der wir alle heutzutage leben. Dieses Lesen schafft erste Konzentration im Raum, die auch bis zum Ende der Performance zu spüren sein wird.

Danach tanzt Demina eine Sequenz aus dem Stück „Astral convertible“ von Trisha Brown und erzählt dabei die Geschichten ihrer eigenen Tanzausbildung. Sie hat mehrere Tanztechniken gelernt, die Besonderheiten ihres Körpers (sie ist laut Standards sechs Zentimeter zu klein und ihre Beine sind 0,8% zu kurz) verhinderten jedoch ihre Kariere im Jazz-Tanz und klassischen Ballett. Die Sequenz, die sie tanzt, lernte sie bei einem Workshop von Britta Lieberknecht. Und Britta Lieberknecht wiederum lernte die Bewegungen von Sandra Grinberg, Tänzerin der Trisha Brown Company. All dies wird hier nicht wegen des Namedroppings erzählt, sondern weil es zum Hauptthema der Performance führen soll: dem Verhältnis zwischen Urheberrecht und dem Kopieren als untrennbaren Bestandteil des Tanzes.

Kopieren ist während der tänzerischen Ausbildung erlaubt und sogar gewünscht, in der Praxis wird es dann viel schwieriger. Wenn man sich als Choreograf mit den Choreografien von anderen beschäftigt, bewegt man sich in einer rechtlichen Grauzone. Irina Demina zeigt dieses Verhältnis mit Hilfe eines Paradoxes auf: „Ich interpretiere das berühmte Stück „Accumulation“ von Trisha Brown, ohne sie jemals live oder auf dem Video gesehen zu haben. Ich lese nur Beschreibungen dieses Stückes und umgehe damit eine potentielle Urheberrechtsverletzung“. Aus dem Lesen entwickelt Demina ihre Bewegungen, die später aus „Sicherheitsgründen“ noch mehrmals durch die Sprache transformiert werden: sie werden gefilmt und wieder beschrieben, getanzt von einer anderen Tänzerin, und wieder gefilmt. So, dass sich die Frage „Wer ist hier der Autor?“ nicht mehr klar stellen läßt.

Nach all diesen Transformationen der Bewegungen kommt vielleicht eins der stärksten Bilder dieses Abends. Hinter Irinas Rücken können nun die Zuschauer auf einem Video sehen, wie Trisha Brown „Accumulation“ tanzt. Und dieser Moment macht leicht nostalgisch: man spürt, dass die beiläufige Intonation, mit der Trisha Brown ihre Bewegungen ausführt, heutzutage nicht mehr existiert. Aber wenn man in der nächsten Szene sieht, wie der Großteil der Zuschauer ohne Hemmungen ihre eigenen Versionen von „Accumulation“ tanzen, wird man einmal mehr optimistisch. Vielleicht ist der größte Verdienst unserer Zeit genau das - dass der Tanz offen reflektiert wird und dass das Publikum selbst Teil dieser Reflektion und des Tanzes wird.
 

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