„I AM“ von Lemi Ponifasio 

„I AM“ von Lemi Ponifasio 

Requiem auf Frieden und Menschlichkeit

Lemi Ponifasios „I AM“ bei der Ruhrtriennale

Mit archaischen und sakralen Bildern entwirft Lemi Ponifasio das Szenario eines Requiems im Gedenken an den Ausbruch nicht nur des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren.

Bochum, 30/08/2014

MAU, der Name von Lemi Ponifasios Ensemble und Kultur-Zentrum in Anlehnung an die friedliche Unabhängigkeitsbewegung Samoas von den neuseeländischen Kolonialherren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bedeutet einerseits „eine feierliche Beglaubigung der Wahrheit“, andererseits aber auch „Revolution“. Frieden schaffen ohne Waffen - wie weit die Menschheit davon entfernt ist, führen uns täglich Fernsehbilder von den brutal ausgetragenen Glaubenskriegen im Mittleren Osten vor Augen. Mit archaischen und sakralen Bildern entwirft Lemi Ponifasio das Szenario eines Requiems auf Menschlichkeit und Frieden im Gedenken an den Ausbruch nicht nur des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Die von Mensch zu Mensch geführten Kämpfe liegen uns heute viel näher als etwa die deutsche Hungersnot von 1914-18.

Die Bilder, die wir fast allabendlich in den Fernseh-Nachrichten sehen, mutet uns auch der Samoaner zu. Da wird mit Fäusten gerungen und geschlagen, aber auch mit Wasser gefoltert und die Friedfertige (Ophelia aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“) - eine kalhköpfige Frau in weißem Gewand inmitten einer einheitlich schwarzen Gesellschaft, mit einem Gewehr dekoriert und einer roten Rose geknebelt - mit Geifer und Blut bespuckt. Verächtlich wirft man der Todgeweihten weiße Blumen in den Schoß. Der Schrei des weit nach hinten Gebeugten wird am Ende verstummen, wenn er - seiner Kleider entledigt - rücklings auf die riesige Metallplatte kracht und wie der gekreuzigte Christus liegen bleibt.

Ein Schimmer Hoffnung blitzt auf, wenn dann einer einen choralähnlichen, schlichten Gesang mit wunderbar klarer Stimme intoniert. Zu Beginn steht ein anderer - Heilsbringer oder Despot? - an der Rampe, zelebriert mit stoischer Miene, aber Gesten reich flatternden Fingern eine Litanei - eine einlullende Predigt? Proklamation neuer Gesetze und Regeln? Ein Geschichtsbericht? Ganz anders später, einer Kontrahentin gleich, eine Frau mit weit aufgerissenen Augen, durchdringender, ekstatischer Stimme, wallendem Gewand, wenn sie leichtfüßig von links nach rechts läuft, fast hüpft und auch ihre Hände flattern lässt: eine Anklage - ein Hilfeschrei…?

Texte von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ und Antonin Artauds „Gottesgericht“ stehen neben Gebeten und Liedern aus Fernost. Die meisten Westeuropäer verstehen das meiste nicht, sind gefangen von der Bilderflut, den Schrift- und Schlammfluten, die auf die riesige Halle projiziert werden mitten hinein in das Bild „Victory over Death 2“ von Colin McCahon. Ein eindrücklicheres Ambiente als die gigantische Bochumer Jahrhunderthalle lässt sich kaum denken für diese Deutsche Erstaufführung von Ponifasios Menschheits- Inszenierung „I am“ (Ich bin) mit seinem stilisiert in kleinen Gruppierungen synchron tanzenden Ensemble in geradezu kunstgewerblicher Reinheit, Künstlern verschiedener Sparten aus aller Welt und Laien (als stummer Chor) aus der Region.

Als Meister von Pathos und geheimnisvoller Aura hatte sich Ponifasio im vorigen Jahr mit Carl Orffs „Prometheus“ erstmals als Musiktheater-Regisseur bei der Ruhrtriennale vorgestellt. Dieselbe rituelle Langsamkeit und die Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Szenarien sind in Erinnerung. Aber der antike Mythos spielte sich in weiter Ferne ab. Jetzt ist der Kontakt von Szene und Tribüne fast hautnah. Das wirkt bedrohlich, macht betroffen.
 

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