„empty moves“ von Angelin Preljocaj

„empty moves“ von Angelin Preljocaj

Von der regionalen Tanz-Vermarktung zum internationalen Forum

Jubiläum der Internationalen Tanzmesse NRW

Aus dem zarten Pflänzchen Tanzmesse NRW wurde ein veritables Forum internationalen Tanz-Austauschs von ökonomischer und kultureller Bedeutung.

Düsseldorf, 28/08/2014

Vor 20 Jahren startete die Internationale Tanzmesse NRW, um vor allem den Tanzschaffenden der regionalen freien Szene Schützenhilfe zu geben. Aus dem zarten Pflänzchen von Anne Neumann-Schultheis wurde ein veritables Forum internationalen Tanz-Austauschs von ökonomischer und kultureller Bedeutung. Zur zehnten Folge der Biennale in Düsseldorf reisten für die viertägige Messe (27.-30. August) rund 60 Kompanien und 160 Aussteller aus 57 Ländern an.

Sie sind außer den erwarteten Besuchern nicht die einzigen Gäste in der Landeshauptstadt. Denn die feiert gleichzeitig das 25-jährige Jubiläum der Kunststiftung NRW - neben dem Land NRW einer der Hauptsponsoren der Messe - und das Düsseldorf Festival. Nebenan, auf den Industriebrachen des Ruhrgebiets, sorgt die Ruhrtriennale für Konkurrenz, ausgerechnet in diesen Tagen mit viel Tanz und Performances.

Am Eröffnungstag lief noch nicht alles rund. Aber Felix Wittek vom veranstaltenden NRW Landesbüro Tanz (Köln), Nachfolger des vielgelobten Kajo Nelles als Leiter der Messe, gab sich bei der Eröffnung salopp und zuversichtlich. Der Ringbuch-Katalog im DinA5-Format ist für ganze fünf Euro auf dem Messegelände NRW-Forum Düsseldorf im Ehrenhof und an den elf Aufführungsorten in Düsseldorf, Krefeld und Leverkusen zu haben - leider erst ab gestern, was die Planung des Messebesuchs und vor allem die Auswahl der Vorstellungen nicht eben erleichterte. Immerhin bietet er hinter der bescheidenen Fassade reichlich Informationen zur internationalen Vernetzung. Nicht nur die auftretenden Tänzer und Performer, sondern auch alle Aussteller werden mit Kontaktadressen vorgestellt.

Auch spartenübergreifende Performances
Das Hauptprogramm wird am Samstag ergänzt durch einen spartenübergreifenden Performance Parcours mit einer Reihe von Kurzchoreografien aus europäischen Ländern - darunter aus Deutschland das Solo „Rotlicht“ von und mit Henrietta Horn. Zum zweiten Mal steht dafür das Kulturinstitut „Weltkunstzimmer“ auf dem Gelände einer ehemaligen Brotfabrik, heute genutzt von tanzhaus-nrw und Capitol-Musicaltheater, als Aufführungsort zur Verfügung.

In den „Open Studios“ im tanzhaus-nrw findet sich eine interessante, bunte Mischung: sieben Hamburger freie Gruppen und Solisten, darunter Antje Pfundtner, zeigen Kostproben ihrer Arbeit. Die unermüdliche Stephanie Thiersch ist ebenso dabei wie (natürlich) Afrikanisches und sogar eine deutsche Stadttheatertruppe. „tanzmainz“, neuformiert unter dem neuen Leiter Honne Dohrmann, der - mit Intendant Markus Müller aus Oldenburg kommend - einen rigorosen Schlussstrich unter die legendäre Ära Schläpfer mit „ballettmainz“ zieht.

Die drei Stipendiaten der Kunststiftung NRW Cocoon Dance Company, Felix Bürkle/starting point und Cooperativa Maura Morales weisen auf den engen Dialog zwischen bildender und darstellender Kunst der Stiftung hin. Anlässlich des Jubiläums unterstützte sie auch die Uraufführung von Angie Hiesls urbanes open-air Installations- und Performance-Projekt „Aquamarin.40213“ (wobei die Ziffern die Postleitzahl des Aufführungsorts Johannes-Rau-Platz / Apollo-Platz angeben). In der Kunsthalle Düsseldorf präsentiert die Ben J. Riepe Companie die Deutsche Erstaufführung der zweiten Folge seiner Performance-Installation „Der letzte Schrei - 2. Edition - artists are alive“, entstanden als Auftragswerk der Kunststiftung NRW in Kooperation mit der Messe und der Kunsthalle. Weitere Specials zielen auf die Einbeziehung Jugendlicher („Explore Tandems“) und setzen die vor zwei Jahren sehr erfolgreiche Reihe „Holland on the Move“ mit Live-Performances im Freien fort. Die Sparte „Talks and Panels“ prunkt mit Promi-Namen wie Salomon Bausch, Martin Schläpfer und Raimund Hoghe.

Über 50 Vorstellungen
Die meisten Tanzinteressierten werden sich fraglos vor allem für die über 50 Performances interessieren. Da ist Entscheidungsglück vonnöten. Denn die Mehrzahl der Künstler ist hierzulande noch unbekannt. Zudem lassen sich parallele Termine nicht vermeiden. Wer Pech hatte, wählte aus den fünf Eröffnungsshows auch noch die falschen aus - und fragt sich nun: sind französische Zuschauer etwa geduldiger als unsereins? Sind französische Choreografen möglicherweise selbstverliebter als etwa ihre skandinavischen, israelischen oder niederländischen Kollegen, die ihre Ideen meist so vorzüglich auf den Punkt bringen?

Angelin Preljocaj hat sich mit den drei Teilen von „empty moves“ völlig vom Handlungsballett verabschiedet, das ihn einst international so populär machte. 2004 setzte er John Cages nicht-musikalischer Komposition „empty words“ seine erste Folge geometrischer Bewegungsmuster für vier Tänzer entgegen. Cage zerhackte 1977 Texte von H. D. Thoreau und ließ einen Sprecher Wortfetzen, Silben, Buchstaben im sing-sang rezitieren, stammeln, sabbern, lallen. Das Publikum der Zuspielung für Preljocajs Produktion zeigt sehr bald Unmut, indem es zunächst höflich applaudiert, um das Ende des Vortrags zu provozieren, dann mit Zwischenrufen, Pfiffen, schließlich Sprechchören und Fangesängen wie im Fußballstadion zu stören.

Wenn ein Tänzer nach einer reichlichen halben Stunde eine Wasserflasche aus den Kulissen holt und jeder sich erfrischt, ahnt der Zuschauer, dass nun „part I“ beendet ist. In der Tat: „part II“ beginnt mit exakt derselben akrobatischen, sich entwickelnden Figur wie „part I“ - und so wird's auch mit „part III“ geschehen. Dazwischen reiht sich ein Füllhorn unterschiedlichster simpler bis raffiniertester akrobatischer Posen, Formationen und Aktionen der vier fabelhaften „Freizeitsportler“ in bunten T-Shirts und Shorts. Als Thema mit Variationen könnte man diesen 100-minütigen, schweiß-treibenden Auftritt von Virginie Caussin, Natasha Grimaud, Sergio Diaz und Yan Giraldou bezeichnen - eindrucksvoll der Bewegungsreichtum und das Durchhaltevermögen des sehr sympathischen Quartetts, aber leider eine viel zu überdehnte Idee.

Bald nach Beginn verließen die ersten Messe-Besucher das Auditorium des Musicaltheaters. Gegen Ende strömte und hetzte es zum Ausgang; denn die nächsten Vorstellungen an unterschiedlichen Orten im Stadtgebiet begannen schon fast.

Gegenüber im tanzhaus-nrw wartete das Ballet National de Marseille geduldig mit dem Beginn von Olivier Dubois' „Élégie“, bis der Zuschauerraum sich gefüllt hatte. Aber dann folgte eine noch weit mühsamere, schrecklich düster monotone Stunde. Dubois grub ein kleines, recht epigonal an Schubert orientiertes Klavierstückchen von Richard Wagner aus, das zweimal kurz angeklimpert wird. Im Übrigen dröhnt Dubois' Lieblings-Kumpan Franҁois Caffenne mit elektronischem Donnergrollen und Kanonenkugelrollen durch das finstere Haus. Auch hier begann die mehr oder weniger diskrete Zuschauer-Flucht nach der Hälfte des Martyriums eines fast nackten menschlichen Wesens, das gegen nachtschwarze Naturgewalten kämpft. Ein Zuschauer tröstete sich über die herbe Enttäuschung dieser Verfremdung von Rilkes „Duineser Elegien“ mit der Bemerkung: „Wenigstens beim Applaus konnte man sehen - richtig toll sahen die Tänzer aus!“
 

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