„The Winning Team Competition“ von Katya Statkus und Helen Schröder

„The Winning Team Competition“ von Katya Statkus und Helen Schröder

Pimp up your Lebenslauf!

„limited edition“ auf K3 - Tanzplan Hamburg

Humoristische Clownsnummern sind selten in der zeitgenössischen Tanzszene: Helen Schröder und Katya Statkus träumen in ihrem Wettkampf um den Titel der besten Nachwuchschoreografin 2014 von einem perfekten Lebenslauf.

Hamburg, 28/06/2014

Von Jonas Leifert

„Katya, du bist heute Abend hier, weil du den Titel beste Nachwuchschoreografin 2014 gewinnen möchtest.“ So stellt Helen Schröder ihre Kollegin Katya Statkus in ihrer Produktion „The Winning Team Competition“ dem Publikum vor. Beide stehen mit unterspannter Körperhaltung und ernster Miene vor dem Publikum und erklären, dass es in der folgenden Performance darum gehen wird herauszufinden, wer an diesem Abend vom Publikum zur besten Nachwuchschoreografin 2014 gewählt werden wird.

Nach dieser Einleitung beginnen die beiden mit einer raumgreifenden Armchoreografie, die durch das Zufallsprinzip Schnick – Schnack – Schnuck den folgenden Ablauf der Performance bestimmen soll. Katya Statkus trifft zuerst das Los und sie beginnt damit, einen Brief an ihre Oma in Russland zu verlesen: Sie hätte in der Performanceszene in Europa schon gute Karten mit ihrem russischen Hintergrund. Allerdings stelle Sie sich die Frage, ob ihr Nachname diese kulturelle Verbindung auch genügend zum Ausdruck bringe. Schon immer hätte sie eine emotionale Verbindung zu dem Tänzer und Choreografen Vaslav Nijinski gespürt – sie habe sein Blut in ihr – und somit solle sich die Oma aus Moskau nicht wundern, wenn sie beim nächsten Wiedersehen Katya Nijinski heißen würde.

Helen Schröder hat derweil pflichtbewusst ihr Armchoreografie weiter ausgeführt, mit der sich nun auch Statkus wieder zu einer neuen Runde Schnick – Schnack – Schnuck synchronisiert. Schröder schlägt Statkus mit Papier gegen Stein und auch Helen Schröder kramt anschließend einen weißen Zettel aus ihrer umgehängten Hüfttasche. Sie verliest einen Brief an ihr heimisches Finanzamt Bergisch Gladbach: Sie sei schon immer enttäuscht gewesen, in offiziellen Dokumenten angeben zu müssen, dass sie in Leverkusen geboren wurde. Eine Stadt zu der sie, mit Ausnahme dieser Begebenheit, keinen emotionalen Bezug hätte. Sie würde gerne ihren Geburtsort in die hessische Provinz verlegen, um in Zukunft angeben zu können, sie sei in Gießen geboren. Auf das Verlesen der offiziellen Anfrage wird eine Audioaufnahme eingespielt. Eine Männerstimme spricht Schröder in typisch rheinländischer Mundart sein Verständnis aus, macht aber auch klar, dass ihre Anfrage leider nicht umsetzbar sei: „Der Geburtsort ist unabänderbar“. Das Publikum ist von diesen ernst und nüchtern vorgetragenen Geschichten sichtlich amüsiert.

Der Traum von einem perfekten Lebenslauf wird fortgesetzt mit dem Wunsch große Namen der internationalen und gleichsam historischen Tanz- und Performanceszene mit der eigenen Biografie zu verbinden. Sie träumen von Abschlüssen an wichtigen Ausbildungsinstitutionen wie dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Berlin oder eben dem Studiengang der Angewandten Theaterwissenschaft an der Universität Giessen. Diese hat ihrerseits schon ganz offiziell das provinzielle deutsche 'ß' aus ihrem Logo verbannt und durch ein internationaler anmutendes und internetkompatibles 'ss' ersetzt. Den eigenen Namen verbessern nicht nur Berufsanfänger, sondern auch große Institutionen.

Es bleibt nicht nur bei aufgehübschten Namen und erweiterten Lebensläufen. Auch dem Wunsch, die eigene Biografie innerhalb der Tanzgeschichte zu positionieren, wird in der Performance nachgegangen. Dem Publikum wird ein Youtube-Tutorial von der zur Mutter der Performancekunst hochstilisierten Marina Abramovic auf einem Notebook vorgeführt. Vermittelt wird darin auf eine eindrückliche Art und Wiese, wie man die eigene Intensität als Performer mit verschiedenen Übungen erhöhen kann. Sie beschreibt eine Übung, bei welcher ein Glas Wasser innerhalb von 30 Minuten ausgetrunken wird und bei der sich der potenzielle Performer jeden Moment des Trinkens erneut ins Bewusstsein rufen soll: „Feel how the water goes into the mouth, into the body“. So wie sich Abramovic das Wasser einverleibt, träumen Statkus und Schröder davon, sich die Tanzgeschichte einzuverleiben. Zu gerne hätten sie in der Tanzoper „Dido und Aeneas“ der Choreografin Reinhild Hoffmann in der Premiere am Theater am Goetheplatz in Bremen im Jahre 1984 mitgetanzt oder stellvertretend für Xavier Le Roy seine Retrospektive in den Deichtorhallen in Hamburg performt.

Damit behandeln die beiden Performerinnen in ihrem Stück die aktuelle Fragen um Autorschaft und Originalität von Bühnenkunstwerken. Doch anstelle moralisierender Debatten um authentische Kunst wählen sie einen unverkrampften, verspielten und vermeintlich naiven Weg über die Komik. Ständig verknüpfen sich reale Fakten mit Wünschen, Träumen und Hirngespinsten, so dass im Laufe des Abends nicht eindeutig auszumachen ist, was Fiktion und was Fakt ist. Dass dieses Spiel brisant und politisch sein kann, zeigt eine kurze Szene exemplarisch: Wenn die beiden eine Choreografie aus Pina Bauschs „Das Frühlingsopfer“ auf Wuppertaler Torf in Dunkelheit nachstellen, dann tanzen sie nicht nur auf einer sehr schlecht ausgeleuchteten Bühne, sondern bewegen sich vor den Augen des Publikums auch juristisch in einer Grauzone.
 

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