Vladimir Malakhov als Prinz Siegfried in „Schwanensee“

Vladimir Malakhov als Prinz Siegfried in „Schwanensee“

Abschied und Neubeginn

Gedanken zu Vladimir Malakhov

Mit seinem Weggang endet eine Ära, nicht nur in Berlin. Er mag, abgesehen von seiner leitenden Position und seinen ballettmeisterlich choreografischen Produktionen exemplarisch für den „russischen Tänzer“ stehen.

Wien, 21/06/2014

Was auftaucht in der Erinnerung: Malakhov als Siegfried in Nurejews Wiener „Schwanensee“, als Romeo in Crankos Dauerhit, als Albrecht in Tchernichovas Wiener Einstudierung, als herausragender Des Grieux in MacMillans „Manon“ und in etlichen anderen großen Rollen, aber dann Kreationen etwa als Wolfgang Amadé in Zanellas Mozart-Abendfüller, überhaupt Zanellas einer fließenden Moderne verpflichtete Soli für den ungewöhnlichen Tänzer, allen voran „Voyage“, ein Tanz des Abschieds, den Malakhov immer noch zeigt, feinnervig auch „Mon Euridice“... Malakhov – Zanella: Diese Zusammenarbeit scheint noch nicht ausgeschöpft.

Zu einem „Heutigen“ verführbar war Malakhov auch in anderen Kreationen, etwa von Goecke, Morris und Sasha Waltz. Auch Forsythe hat er getanzt. Malakhov kündigte an, dass er zu besonderen Anlässen weiterhin auf der Bühne zu sehen sein wird, in Charakterrollen wie er nichtklassische Parts, als russisch geprägter Stilist, bezeichnet. Er meint damit aber Hans van Manens „The Old Man and Me“. Aber auch weitere Neukreationen müssten, sollten folgen. Die abendfüllenden, großen Rollen aber hat er, seinem Alter entsprechend, er ist 46 Jahre alt, nun beim Berliner Ende seiner Direktionszeit als Staatsballett-Leiter hinter sich gelassen.

In der Tat endet damit eine Ära, nicht nur in Berlin. Vladimir Malakhov lebt und arbeitet seit 1992 im Westen. Er mag, abgesehen von seiner leitenden Position und seinen ballettmeisterlich choreografischen Produktionen in erster Linie exemplarisch für den „russischen Tänzer“ stehen, nach dessen Typus letztlich auch Jahrzehnte nach der politischen Öffnung des sogenannten Ostens Ausschau gehalten wird. Davor waren sowjetische Tänzer und Tänzerinnen für den Westen durchaus Geheimnisträger und von Seltenheitswert, lebte man nicht gerade in London und konnte von den sommerlichen Gastspiel-Seasons des Kirov- und Bolshoi-Balletts profitieren. Es war gar nicht so einfach, auf eigene Faust die Hochburgen in Leningrad und Moskau zu besuchen, nicht um nach choreografischer Innovation, sondern nach den Umständen und Bedingungen zu suchen, die russische Tänzer hervorbringen können; um besser verstehen zu können, was die prominent gewordenen Flüchtlinge wie Rudolf Nurejew, Natalia Makarova und Mikhail Baryschnikov ausmachte, aber auch dort Verbliebene wie Alla Sisova, Gabriella Komleva, Irina Kolpakova, das Paar Maximova & Vassiljev, Maris Liepa. Spannender Tanz war russischer Tanz, „richtiges Ballett“ war sowjetisch. Das verhieß nicht nur brillante Technik, sondern auch Rollengestaltung, Leidenschaft, Bühneneroberung, die große Geste, die Erschütterung, das Leben für den Tanz auf der Bühne. Die Rede ist hier von Solisten und Solistinnen, nicht vom gleichförmigen Corps de ballet, das ganz schön teilnahmslos unterwegs sein konnte und kann.
Neue Namen flüsterte man sich zu.

Als Malakhov im Herbst 1991 im Rahmen eines Gastspiels des moskowitischen Kassatkina-Ensembles in der Wiener Stadthalle erstmals zu sehen war, saß auch die neue Wiener Ballettchefin Elena Tchernichova (Ex-Kirov, Ex-American Ballet Theatre-Ballettmeisterin) im Publikum. Die Zuschauer hatten ein sphärisches Wesen gefeiert, einen geschmeidig tanzenden Danseur noble von ungewohnter Sensibilität und mit romantischem Flair. Er war kein neuer Nurejew, obwohl wir das damals heraufbeschworen, damit aber vielmehr glücklich meinten: „erneut ein erster russischer Tänzer“ von besonderer, außergewöhnlicher Prägung. Nurejew und Malakhov sind nicht vergleichbar. Er war Malakhov, ein großer Danseur noble, und er entwickelte sich noch weiter, auch dramatisch-gestalterisch. Bald darauf hatte er seinen ersten Vertrag als Solotänzer und ständiges Mitglied der Wiener Staatsoper. Tchernichova bestückte das Wiener Staatsballett mit einer ganzen Reihe neuer Solisten aus vielen Ländern, damals ein Novum für Wien, das vor allem aus der eigenen Schule Stellen nachbesetzt und vor allem Nurejew und später seinen französischen Tänzern und Tänzerinnen, darunter Manuel Legris, eine ausführliche Gast-Rolle eingeräumt hatte. Eine freudvolle Kooperation entstand, die im zwei Jahre später beginnenden Dezennium von Ballettchef Renato Zanella wuchs und sich bis Gyula Harangozós Leitung erstreckte. 2008 tanzte Malakhov in Wien seinen letzten Albrecht mit Diana Vishneva als Giselle, ein Jahr später den letzten „Schwanensee“ (2. Akt) mit Polina Semionova.

Bereits im kommenden Juli ist Malakhov Jury-Vorsitzender des „Wien Welt Wettbewerbs“ im Rahmen des Festivals „ImPulsTanz“. Der abschließenden Gala am 27. Juli im Wiener Volkstheater folgt exakt zwei Monate später in Berlin die Verleihung des ersten, von der Malakhov-Foundation gestifteten Taglioni-Awards. Nach den emotionalen Abschieds-Wellen besinnt man sich auf den wertvollen Pädagogen Malakhov. Auch so gesehen ist seine Karriere noch lange nicht beendet, sie erfährt nur einen neuen, möglicherweise weniger leidvollen, also frohgemuteren Lebensabschnitt.
 

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