„Kammerspiel“ von Kevin O‘Day

„Kammerspiel“ von Kevin O‘Day

Qual der Wahl

Der neue Tanzabend „Kammerspiel“ am Mannheimer Nationaltheater

Kevin O’Day und John King hauchen nicht nur der Kammermusik (mit einem Streichquartett als deren Inbegriff) neues Leben ein, sondern haben sich auch konzeptionell zur Interaktion zwischen Musik und Tanz einiges einfallen lassen.

Mannheim, 07/05/2014

Beinahe wäre der Mannheimer Ballettchef Kevin O’Day Musiker statt Choreograf geworden; die Auseinandersetzung mit musikalischen Strukturen – historisch wie zeitgenössisch – ist eine Leidenschaft geblieben. Sein bevorzugter Sparringpartner für das Kreieren experimenteller Musik ist der amerikanische Komponist John King, der viele Jahre lang für Merce Cunningham gearbeitet hat. Aus dieser Pionier-Ecke des modernen Tanzes weht der frische künstlerische Wind, der durch den neuen Tanzabend „Kammerspiel“ im Nationaltheater weht.

Denn Kevin O’Day und John King hauchen nicht nur der Kammermusik (mit einem Streichquartett als deren Inbegriff) neues Leben ein, sondern haben sich auch konzeptionell zur Interaktion zwischen Musik und Tanz einiges einfallen lassen. Ein konstanter Elektrosound bildet einen Klangteppich für die offene kammermusikalische Struktur, bei dem manches König Zufall überlassen bleibt, zum Beispiel die Zahl der Wiederholungen einer Sequenz. So sind die live auf der Bühne agierenden Musiker in dieser Produktion hoch gefordert; neben Rainer Böhm (Klavier/Cembalo) hat Kevin O’Day (als Zeichen der Solidarität mit der von der Schließung bedrohten Ausbildungssparte an der Staatlichen Musikhochschule Mannheim) Studierende für das Streichquartett eingeladen.

Die zwölf Tänzer des vorzüglichen Mannheimer Ensembles müssen sich in dem anspruchsvollen Konzept erst einmal finden. Ausstatter Thomas Mika hat dafür eine bewegliche Wand auf die weiß gehaltene Bühne gestellt, im Hintergrund steigt eine schräge Ebene empor. Mühsam schreiben die Tänzer mit Klebeband Alternativen an: „Yes / No“ ist am Ende zu lesen, und „Now“. Wenn nicht das eine, dann das andere: Wenn nicht lange schwarze Hosen, dann Turnhosen, wenn nicht Anzugjacken, dann blanker Oberkörper, wenn nicht schwarz für die Damen, dann glänzende Grundfarben (rot, gelb, blau), wenn nicht lange Kleider, dann kurze oder Bodysuits... Die Qual der Wahl gibt es auch bei der Eroberung des Bühnenraums, der mit seinen überdimensionierten Bauteilen keine einfache Spielwiese darstellt. Kevin O’Day schöpft in Sachen Bewegungsphantasie wie üblich aus dem Vollen, aber dennoch bleibt der erste Akt nicht nur verspielt, sondern manchmal auch etwas zerfahren und beliebig – während die Musik in ambitionierten Umwegen auf ein fast barock anmutendes musikalisches Thema zusteuert.

Nach der Pause sind die schweren Bühnenelemente verschwunden, die Bühne mit hellem Tanzboden ist offen einsehbar bis zur Feuerschutzwand und den seitlichen Beleuchtungstürmen. Jetzt gehört den Paaren die große Spielwiese, und da läuft auch Kevin O‘Day zu großer Form auf. Zwei Männer tanzen ein dramatisches Duo in Zeitlupe, genau in der Schwebe zwischen Kampf und Zärtlichkeit. Männer und Frauen finden sich, und verlieren sich wieder. Eine Gruppe von Männern trägt eine Tänzerin nicht nur auf den Händen, sondern mit ganzem Körpereinsatz, so dass sie nie den Boden berührt. In dramatischen langen Kleidern haben Zoulfia Choniiazowa und Julia Headley große Auftritte.

Wo elementare Gefühle der Abgrenzung und Integration der Einzelnen und der Gruppe ins Spiel kommen, zeigt sich Kevin O’Day’s choreografische Handschrift am überzeugendsten. Musiker und Tänzer – vom bewährten Lichtdesigner Mark Stanley ins rechte Licht getaucht – kommen einander zuletzt auch räumlich näher, während die Musik, im letzten Abschnitt dem verstorbenen Merce Cunningham gewidmet, langsam vertröpfelt. Großartig – der Meinung war auch das Premierenpublikum.
 

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