„Hidden Features“ von Antoine Jully

„Hidden Features“ von Antoine Jully

Den Schalk im Nacken

Ballett am Rhein: „b.19“ in Düsseldorf

Wie uns unser aller Freund „PC“ zur Weißglut treibt - warum Niki de Saint Phalle nie Karriere als Kostümbildnerin machen konnte - und wie unendlich schön es immer wieder ist, ein Meisterwerk von Hans van Manen perfekt getanzt zu sehen.

Düsseldorf, 29/03/2014

Die fieseste Intrige unserer Zeit zettelt unser aller Freund „PC“ an. Genauso heimtückisch, wie Herpes & Co unseren Körper infizieren, können Computer-Viren uns im Alltag außer Gefecht setzen oder zumindest zur schieren Weißglut treiben. Auf dem Monitor ist herzlich wenig von dem Innenleben unserer Arbeitsgeräte zu sehen. Antoine Jully hat sich für „Hidden Features“, seiner dritten Choreografie für das Ballett am Rhein, von den Einstellungen und Funktionen der modernen Technologie inspirieren lassen. Welche Teile und Tätigkeiten im Einzelnen er via bestens bestimmte Kompanie personifiziert, ist ohne Nachhilfe aus dem Interview im Programmheft kaum zu entschlüsseln. Aber das macht nichts: Dynamik, Witz, technische Finessen und futuristisches Ambiente (Bühne: Jully; Kostüme: Kevin Gamez) sorgen für beste Unterhaltung. Optische und akustische Glanzlichter setzen das spektakuläre Video von dem Programmierungs-Spezialisten Matthias Oostrik und die eingespielte Kammermusik des zu Unrecht fast vergessenen Erwin Schulhoff mit Jazz-Elementen (à la Eric Satie) in seinen fünf Stücken für Streichquartett und Henryk Góreckis teilweise minimalistisches Cembalokonzert mit seinem enormen Drive dank klirrender Stakkato-Akkorde.

Sportiv ganz in weiß bis hin zu den lackierten und mit Plastik verschalten Helmen rotieren „Ventilatoren“ in Dreierformationen. Vorn huscht der quicklebendige „Cursor“ (Camille Andriot) durch die Bildfläche und gleich wieder ins Aus. Eine Hand (Louisa Rachedi) flitzt über die imaginäre Tastatur, um den Bildschirm mit Zeichen, Ziffern und Buchstaben zu füllen. Herrscher über das Kleinvolk ist natürlich das Motherboard. Majestätisch fährt es im köstlichen Mothergoose-Look (Chidozie Nzerem) über die Bühne. Die bunt-gepixelte Grafikkarte (Marlúcia do Amaral mit gewohnt rasanten Beinschwüngen und Sexappeal) bietet sich zum Flirt an. Fast unbemerkt mischen sich indes in das geschäftige Treiben schwarze Gestalten. Später übermannt ein ganzes Heer den schönen weißen Technikkosmos. Infiziert mit dem „bug“ hilft nur eins: Beherzt beißt die gesundheitsbewusste Grafikkarte in den „Apple“. Ein köstliches i-Tüpfelchen auf eine gekonnte Choreografie!

Dass der junge Franzose zwei Großmeistern des modernen Tanzes vorangehen darf, gleicht fast schon einem Ritterschlag. Auch Merce Cunninghams „Scenario“ von 1997 sitzt der Schalk im Nacken. Da ordnet sich doch tatsächlich der Großmeister der tänzerischen „LifeForms“ dem Diktat fantasievoller, aber völlig abwegiger Kostümierung der extravaganten japanischen Modeschöpferin Rei Kawakubo unter. Niki de Saint-Phalles „Nanas“ könnten Pate gestanden haben. Ausbuchtungen und Wülste, wo sie ständig stören, Stummelschwänzchen und voluminöse Vorbauten, die lächerlich wirken, enge Röcke und Oberteile zwingen die Tänzer andauernd, nicht zu tanzen. Da trippeln sie barfuß, strecken die Arme ungelenk nach vorn oder ein Bein nach hinten, posieren im Profil... Aber sie erwehren sich der Behinderungen immer besser. Den reichlich langen Tanz-Gag untermalt die Nicht-Musik „Wave Code A-Z“ von Takehisa Kosugi.

Den Abend beschließt ein Meisterwerk, das durch seine Eleganz, Präzision, Klarheit und nicht zuletzt Menschlichkeit besticht. Hans van Manens „Große Fuge“ ist längst ein Klassiker im Repertoire der wichtigsten europäischen Kompanien. Vier Frauen in hocheleganten hautfarbenen Trikots (Feline van Dijken, Doris Becker, Claudine Schoch und Julie Thirault) stehen reglos und schöner als Boticellis (drei) Grazien links hinten auf der Tanzfläche. Mit geballten Fäusten preschen vier Männer in langen weiten schwarzen Röcken herein (Rashaen Arts, Bogdan Nicula, Paul Calderone, Alexandre Simõnes). Ihre Imponierattacken - ob gemeinsam oder einzeln - beeindruckt die Schönen wenig. Schließlich aber stellen sie sich doch zwischen die muskulösen Machos, lassen sich auf berückend schöne Duette ein - hüpfen abwechslend mit den Mannen synkopisch, trippeln einträchtig vereint auf Halbspitze. Als Beethovens Cavatina aus dem B-dur-Streichquartett zart verklingt, legen sich alle dicht bei dicht nieder.
 

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