Säen und Ernten

Zeitgenössischer Tanz aus Flandern

„Säen und Ernten“ lautete das Motto der Münchner Biennale DANCE im Herbst 2012. Themenschwerpunkt bildete die Tanzentwicklung in Flandern in den vergangenen knapp dreißig Jahren. Jetzt ist die Publikation erschienen, die das Thema wissenschaftlich und kulturpolitisch auswertet.

München, 25/03/2014

„Säen und Ernten“ lautete das Motto der letzten Münchner Biennale DANCE im Herbst 2012. Ein von der Kulturstiftung des Bundes geförderter Themenschwerpunkt war die Tanzentwicklung in Flandern in den vergangenen knapp dreißig Jahren. Diese wurde elf Tage lang nicht nur am Beispiel stilbildender Produktionen der sogenannten Big Five, unter ihnen Anne Teresa de Keersmaker oder Jan Fabre, sondern auch anhand von prägnanten Kreationen wie beispielsweise „We saw Monsters“ von Erna Ómarsdottir oder dem monumentalen „Puz/zle“ von Sibi Larbi Cherkaoui in Augenschein genommen. Zug gewann DANCE durch die ins Zentrum des öffentlichen Diskurses gestellte Frage, inwieweit Flandern als Modell für die deutschen und auch konkret: die Münchner Theaterstrukturen funktionieren könnte.

Knapp anderthalb Jahre später ist jetzt die dazu passende Publikation erschienen, herausgegeben vom SAM, dem Interdisziplinären Forschungszentrum für Gegenwartstheater und neue Medien Sound and Movement in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München.
Man bedauert fast ein wenig, dass diese detailreiche Aufarbeitung der Geschichte und Gegenwart des „flämischen Tanzwunders“ wegen ihrer ungewöhnlich klaren Worte nicht bereits just während des Festivals das Licht der Welt erblickte. Andererseits kompensiert sie mit Nachdruck, was damals im Reigen der Aufführungen den Veranstaltern, Kooperationspartnern und den künstlerischen Leitern Nina Hümpel und Dieter Buroch zu wenig auf den Punkt kam: Die Diskussion darüber, wie es Bettina Wagner-Bergelt formuliert, wo wir (in Deutschland) falsch oder nicht gesät und warum wir „jetzt auch so wenig ernten“ können.

Relevanz auch als (Selbst)Kritik an all jenen, die Tanz nicht selbst choreografieren, dafür aber kuratieren, verwalten, managen, besprechen, die als Produkt des Künstlers ernten wollen, erhalten die Fragen, wenn man Arnd Wesemanns Portrait der „Big Five – Fünf Revolutionäre auf einmal“ liest. Dort arbeitet der renommierte Berliner Tanzredakteur unter anderem ausführlich heraus, wie die Großmeister der zeitgenössischen flämischen Tanzchoreografie es „unter Umgehung sämtlicher Subventionsbettelei und ohne jede Anbiederung an den Staat zu einigem Reichtum gebracht haben“. Damit ist das Spektrum markiert, aus dem der Band „Säen und Ernten“ Kriterien und Argumente für eine neue Tanzförderung an die Hand liefert. Anders gesagt, und darin liegt der pragmatische Nutzen dieser Publikation: Wer wissen will, wie es gehen könnte, dass auch in Deutschland viele regional arbeitende Choreografen zu Formaten und Arbeitsstrukturen finden, die ihrer Kunst wahres Gewicht verleihen, in dem sie sich einerseits wirklich vor Ort voller Anerkennung etablieren dürfen und andererseits gerne ins Ausland exportiert werden, der muss, vorlaut gesagt, aus „Säen und Ernten“ ein Exzerpt erstellen, und schon hat man diskussionsfähige Ingredenzien für eine wache, avancierte Tanzentwicklung insbesondere auch in Süddeutschland parat.

231 Seiten stark ist der großformatige Band übrigens. Ausführliche wissenschaftliche Werkbetrachtungen haben Katja Schneider, Jürgen Schläder und Jörg von Brincken zu Stücken von Wim Vandekeybus („Monkey Sandwich“), Sidi Larbi Cherkaoui („Puz/zle) und Erna Ómarsdóttir („We saw Monsters“) abgeliefert – jede einzelne für sich eine ertragreiche Aufarbeitung beispielsweise des Themas theatraler Narrativität unter repräsentativen und performativen Gesichtspunkten. Renate Klett und Jeroen Verstelee verfassten Analysen der tanzpolitischen Rahmenbedingungen in Flandern, die äußerst informativ sind. Ihre wie die wissenschaftlichen Beiträge beruhigen fast ein wenig die hochengagierten, kritischen Kommentare über Kulturpolitik, Kulturmanagement und auch die Zukunft Münchens sowie die Klartext sprechenden Wort für Wort-Interviews unter anderem mit Johan Simons, Meg Stuart oder Nina Hümpel. Wichtig, schließt Dieter Buroch, sei das gemeinsame Ziel, auf das sich eine gefestigte Szene von Künstlern, Besuchern, Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten einsetzen. In Flandern hat es ja scheinbar auch mal geklappt.

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