Ein Kleinod der Tanzgeschichte

Noa Eshkol Chamber Dance Group aus Israel zum Abschluss der Ausstellung „Noa Eshkol. Wall Carpets“

Es war ein bemerkenswert anderes Tanzerlebnis, das am Wochenende zu Frühlingsbeginn in den Opelvillen Rüsselsheim auf wundersame Weise möglich war. Ein höchst intensives, ja fast intimes Tanzerleben.

Rüsselsheim, 24/03/2014

Es war ein bemerkenswert anderes Tanzerlebnis, das am Wochenende zu Frühlingsbeginn in den Opelvillen Rüsselsheim auf wundersame Weise möglich war. Ein höchst intensives, ja fast intimes Tanzerleben. Zum Abschluss der Ausstellung mit Wall Carpets der Israelin Noa Eshkol (1924-2007) war die Noa Eshkol Chamber Dance Formation angereist, um einige der von Eshkol im Laufe ihres Tänzerlebens erarbeiteten Tanz-„Kompositionen“ zu zeigen. Ihr langjähriger Freund und Mitarbeiter Mooky Dagan gab humorvolle Erläuterungen auf Englisch. Er ist der Vorsitzende der Noa Eshkol Foundation for Movement Notation, die im einstigen Wohnhaus von Noa Eshkol in Holon/Israel ihren Sitz hat.

Es ist eine komplexe und hierzulande kaum bekannte Geschichte, die dahinter steckt. Der von der Rüsselsheimer Museumsleiterin Dr. Beate Kemfert mit Umsicht und Sorgfalt herausgegebene Katalog erlaubt Einblicke (Hatje & Cantz, 25 Euro). Darin wird auf die anfangs parallele Entwicklung von Merce Cunningham und Noa Eshkol hingewiesen, die beide Tanz bei den Vorbildern des freien expressiven Tanzes studiert hatten und dann andere Wege suchten, die abseits von Theatralik liegt.

Doch während Cunningham in den USA, spätestends ab 1964, den Weg auf die Tanzbühnen der Welt suchte und fand, wählte Eshkol in Israel den umgekehrten Weg. Sie zog sich zurück, lebte geradezu asketisch, versammelte treue Schülerinnen um sich und gründete 1954 ihr Ensemble. Sie mied die Öffentlichkeit, so dass nur wenige die Chance hatten ihr Wirken kennenzulernen. Das tägliche gemeinsame Leben in ihrem Tanzstudio konnte bei allen auf der Erziehung im Kibbuz aufbauen, das auf Kooperation beruht, doch unter einer klaren Leitung organisiert ist.

Eshkol machte sich verdient um die Entwicklung einer Tanznotation, die sie zusammen mit ihrem Schüler, dem späteren Architekten Avraham Wachman erforschte. Die Eshkol-Wachman Movement Notation (EWMN) ist in der Fachwelt anerkannt, findet jedoch in der Praxis wenig Anwendung.

Zu ihren Wandteppichen kam sie 1973 während des Jom-Kippur-Kriegs, dem einer ihrer Tänzer zum Opfer fiel. Sie pausierte mit dem Tanzen und gab ihrer Kreativität neuen Ausdruck in den aus Stoffresten zusammen gesetzten Decken. Zunächst trennte sie eigene abgelegte Kleidung auf, begann später im Bekanntenkreis zu sammeln, bis sie auch aus Bekleidungsfabriken Stoffreste bekam. Genauso wie sie sich im Tanz Selbst-Beschränkungen auferlegte, genau so schuf sie sich eigene Regeln für die Wall Carpets: kein Einzelteil wurde durch eine Schere verändert, alles so genommen wie es kam. Sie arrangierte die Teile auf dem Boden und steckte ihre Kompositionen mit Nadeln fest. Das Zusammennähen übernahmen ihre Tänzerinnen in gemeinsamer Arbeit. Diese Form des kreativen Ausdrucks behielt sie bei, suchte auch hier keine Öffentlichkeit.

Sie hatte noch die Erlaubnis zur Ausstellung die Wandteppiche gegeben, aber erst die amerikanische Künstlerin Sharon Lockhart entdeckte diese während einer Forschungsreise 2008 neu. Kein Wunder, gibt es doch eine Nähe zu den Art Quilts, die als amerikanische Kunst gelten. Angemerkt sei, dass die Ursprünge des Quilts auch bei den europäischen Auswanderern liegen, vor allem bei denen aus Großbritannien und Deutschland. Lockhart sorgte für eine Ausstellung, in deren Rahmen dann erstmals auch die Eshkol-Tänze gezeigt wurden. Zu ihren Lebzeiten waren die beiden Ausdrucksformen nie zusammen gekommen, Eshkol selbst hatte auch nie einen Zusammenhang gesehen oder formuliert.

Was ist nun das Besondere an den Bewegungs-Kompositionen von Noa Eshkol? Sie werden ohne Musik, nur zum gleichmäßigen Ticken eines Metronoms umgesetzt. Es gibt kein Bühnenbild, keine besondere Beleuchtung, als Bekleidung nur schwarze Trikots und gleichermaßen streng zurückgebundene Haare. Jede Einzelbewegung ist relativ einfach, wie bei der Open Rehearsal in Rüsselsheim demonstriert wurde. Sie sind so für untrainierte oder ältere Menschen durchaus möglich. Erst die Kombinationsfolgen machen es zu einem komplizierten Ablauf, der von den vier Tänzerinnen, hohe Konzentration erfordert. Auch im Publikum herrschte atemlose Stille. Und das Bedürfnis nach mehr.

Da der kleine Museumssaal zum ersten Mal für eine solche Performance genutzt wurde, hatte die Gruppe vorsichtig begonnen, zeigte zunächst nur „Static Dances“, also Bewegungsfolgen, die im Stehen oder mit einem Seitschritt erfolgten. Zunehmend sicherer im Raumgefühl und erfreut über die positive Resonanz des Publikums wagten sich die Vier an komplexere Stücke wie „Jahreszeiten“, „Jakob und Leah“ und eine „Hommage an das Klassische Ballett, als Zugaben erfolgten die Zweierstücke „A Hero’s Memories“ und „Peacock“.

Zwei der vier Tänzerinnen waren langjährige Schülerinnen bei Noa Eshkol: Racheli Nul-Kahan und Ruthi Sela. Die beiden Jüngeren haben Eshkol nicht mehr gekannt, führen nun aber die Tradition gemeinsam weiter: Mor Bashan und Nora Gogal. Schade nur, dass Rüsselsheim die einzige Station ihres Auftritts war. Es war ein besonderes Kleinod der Tanzgeschichte, das dort gezeigt wurde, sozusagen noch im Originalzustand. Passend zu diesem Tanzjahr in Deutschland, in dem allerorten das deutsche Tanzerbe wieder belebt wird. Noa Eshkol hat in London übrigens bei Rudolf von Laban und Sigurd Leeder studiert, war also auch von Tanzkunst aus Deutschland geprägt.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge