„Point of Intersection“ von Panaibra Gabriel Canda

„Point of Intersection“ von Panaibra Gabriel Canda

Das macht Lust auf mehr

Gelungener Start für das Festival Dance Dialogues Africa in Hellerau

Auf die Küste Mosambiks geht der Blick Panaibra Gabriel Candas in einer beeindruckenden Videoinstallation zu sanft eingespieltem Meeresrauschen in seiner Choreografie „Point of Intersection“, mit der Dance Dialogues Africa eröffnet wurde.

Dresden, 23/03/2014

Mosambik liegt am Meer. Die idyllischen Inseln vor der Ostküste mit den prächtigen Villen und Häusern aus der Kolonialzeit preisen Reiseveranstalter gerne als „Afrikas schönstes Geheimnis“. An dieser Küste, „umspült vom Indischen Ozean“, wurde der Choreograf Panaibra Gabriel Canda geboren. Auf diese Küste geht sein Blick in einer beeindruckenden Videoinstallation zu sanft eingespieltem Meeresrauschen in seiner Choreografie „Point of Intersection“, mit der das Festival Dance Dialogues Africa im großen Saal des Festspielhauses in Hellerau eröffnet wurde.

Sinnfälliger könnte der Beginn eines Festivals mit den folgenden Angeboten aus der hierzulande so gut wie unbekannten Tanz- und Kunstlandschaft Afrikas, bei dem der Veranstalter unsere Blicke erweitern möchte, nicht sein. Bis zum 29. März präsentiert Hellerau, das Europäische Zentrum der Künste, vielfältige Einblicke in tänzerische Landschaften Afrikas. Nach Bali und Benin, Algerien und Marokko in verschiedene Staaten des Maghreb geht der Blick. Dazu ein Begleitprogramm mit Ausstellung, Konzerten und Künstlergesprächen.

Zunächst aber der Blick mit Panaibra Gabriel Canda aus Mosambik von seinem Balkon auf das Meer. Die Wellen der Projektion auf der Bühne, die Brandung knapp vor der ersten Reihe der Zuschauer. Vier Stühle stehen auf dem Wasser. Vier Menschen, zwei Frauen, zwei Männer, werden auf dem Wasser gehen, tanzen, liegen, sie werden fallen und stürzen, untergehen werden sie nicht, auch wenn sie immer wieder, wie der Titel der einstündigen Arbeit „Point of Intersection“ vermittelt, an Schnittpunkte ihrer Existenzen geraten. Sie werden kämpfen um ihren Platz auf einem der Stühle nach der Devise: hier sitze ich, und was darunter und darüber ist, besitze ich. Das schließt Erinnerungen an Kinderspiele vom rechten Platz, der leer ist, oder der gefährlich ambivalenten Reise nach Jerusalem nicht aus.

Da kann der Sound schon mal eskalieren, da kann der Tanz handgreiflich werden, der Himmel verfinstert sich, nix mehr mit romantischem Glotzen aufs paradiesische Panorama, der Mond über dem Meer ist schwarz. Und unterm schwarzen Mond sehen wir das existenzielle Solo eines Tänzers und die ganze Verletzlichkeit seines allen Schutzes beraubtem, einsamen Körpers. Wie wild dann Sprünge und Abstürze, direkt oder indirekt, wenn europäische Tanztraditionen bis hin zu leichten, neoklassischen Attitüden das Aufkeimen der eigenen, bewegten und bewegenden Erinnerungen bedrohen.

Aber auf diesen unbeirrbaren Wegen zu den Wurzeln, zum Beharren auf den eigenen Rhythmus, trägt das Meer über dem der Mond jetzt heller geworden ist, sogar sein Gesicht nicht mehr verbirgt, und spätestens beim Finale Grande, dessen Musik an die Unbeschwertheit exotischer Ausflüge des Rokoko erinnert, fast lächelt. Das Lächeln des Mondes, die Leichtigkeit der Musik, die Meeresidylle, der „schöne“ Tanz - alles bleibt trügerisch, und das Kampfspiel um den Platz im eigenen Land, im eigenen Leben, in der eigenen Kunst, ist längst nicht entschieden.

Wer sich entschied an diesem Eröffnungsabend des Festivals nach kurzer Pause in den Nancy-Spero-Saal zu wechseln, wird dies nicht bereut haben. Hier begann die Reihe mit Arbeiten junger Choreografen aus Afrika, die fortgesetzt wird. „Centauros“ nennen Pak Ndjamena und Rafael Mouinho aus Mosambik ihre Arbeit des Projekto Juxtaposition in Maputo.

Der Zentaur könnte auch eine Figur das Todes sein der zunächst stumm erscheint, die graue Maske des Pferdemenschen aus der griechischen Mythologie im grellen, bunten Frackrock erinnert auch an eine übergroße Gasmaske. Die Szene ist dunkel, und die Körper der drei dunklen Protagonisten sind kaum auszumachen. Dann messen sie den Raum aus. Was an Übungen wie Raumerkundungen in gängigen Workshops erinnert, Variationen der Richtungen, des Tempos, Einschübe aus dem knappen Spektrum der Contactimprovisation, ist dennoch von hoch aufgeladener Energie. Dann, wieder aus dem Workshopangebot der Improvisationen, ein wüstes Solo mit dem Chaos der Wortakrobatik übergehend in die Szene eines Mannes voller Wut, nicht gegen die Wand, gegen die Haut, die eigene. Und spätestens jetzt nimmt dieses rasante Spiel der Selbstentblößung gefangen und der musikalische Übergang in die geordnete Tango-Welt verblüfft nicht schlecht. Ein ungestümer Kampf mit dem roten Teppich, der zum leeren Thron eines nicht mehr residierenden Herrschers führt, ein gequälter Mensch ohne Gesicht, Schreie, Disziplinierungsrituale und ein Hitlergruß, und am Ende sind die Zentauren, die Tiermenschen mit den Masken des Todes, mitten unter uns. Das sind 45 herausgeschleuderte Minuten einer bedingungslos engagierten Gruppe junger Protagonisten. Dieser Beitrag, in dem gebetet und gelitten wird, in dem wütend tragische, verzweifelte Erfahrungen medienbestimmter Gegenwart herausgeschleudert werden, lebt nicht zuletzt vom Charme der Unvollkommenheit, sei es beim Ton, beim Licht, bei unausgeglichner Sensibilität für räumliche Wirkungen. Fraglich allerdings, ob hier Begrifft wie Performance, Objektkunst oder Installation wirklich angebracht sind, denn die Kunst dieser Darsteller bezieht ihre Kraft eher aus einer Abfolge von Augenblicken schutzloser Authentizität und gibt wohl letztlich die Geheimnisse ihres Antriebes nicht gänzlich preis.

Das dicht gedrängt sitzende Publikum im übervollen Saal ist begeistert. Und die Bilder werden wie Fetzen einer kraftvollen Verunsicherung wohl noch lange durch die Köpfe geistern.

Dance Dialogues Africa, noch bis 29. März
 

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