„Form und Masse“ von Isabelle Schad

„Form und Masse“ von Isabelle Schad

Wirkkräfte der Gelassenheit

Isabelle Schads „Form und Masse“ in den Berliner Uferstudios

Mit somatischen Methoden wie Body-Mind-Centering und fernöstlich geprägten Konzepten von Körperenergien verleiht Schad organischen Bewegungsabläufen eine raumgreifende äußere Präsenz. Der Zuschauer durchlebt dabei innere und äußere Zustände von An- und Entspannung,

Berlin, 17/03/2014

Aus Isabelle Schads Beschäftigung mit Franz Kafkas Erzählung „Der Bau“ sind seit 2013 ein Solo mit gleichnamigem Titel sowie „Der Bau – Gruppe 12x60“, ein Stück für 12 TänzerInnen und sechzig Sitzsäcke hervorgegangen. Ergänzend dazu steht die Arbeit „Form und Masse“. Deren Neufassung, die vergangene Woche an den Berliner Uferstudios zu sehen war, ist eine Art energetische Installation. Mit somatischen Methoden wie Body-Mind-Centering und fernöstlich geprägten Konzepten von Körperenergien verleiht Schad organischen Bewegungsabläufen eine raumgreifende äußere Präsenz. Der Zuschauer durchlebt dabei innere und äußere Zustände von An- und Entspannung, die (bestenfalls) etwas Meditatives haben.

Dazu gleicht das Studio 14 der Berliner Uferstudios einem verlassenen nächtlichen Ort. Schwarze Stützpfeiler verbinden Boden und Decke in leicht diagonal verlaufenden Linien miteinander. Darin eingelassene, matt weiß flackernde, Neonröhren werfen abwechselnd gedämpftes Licht auf die wie große Steine am Boden liegenden schwarzen Sitzsäcke. Assoziationen zu menschenleeren Bergwerksgängen, Autobahntunneln und nächtlichen Wäldern blitzen dabei nur vorübergehend auf. In der aufgeräumt sachlichen Laboratoriumsästhetik findet auch die beste Vorstellungskraft kaum semantischen Halt.

Die rhythmisch flackernde Lichtmusik hält inne, als ein Konglomerat aus Sitzsäcken langsam in Bewegung gerät, sich allmählich zu einer träg aufquellenden Masse formiert. Dazu wird von Marcello Busato ein dumpfer gleichbleibender elektronischer Sound eingespielt. Eine Art leises Scheppern - Geräusche wie von Glasflächen, die aneinander reiben - legt sich darunter. Akustisch entsteht dadurch ein Eindruck als kämen diese aus dem Studio nebenan. Der zunächst heimliche Motor der multisinnlich erfahrbaren Wirkkräfte ist die Performerin Sonja Pregrad.

Identifizierbar wird sie erst, als sie hinter den Sitzsäcken hervorkommt und aufrecht im Raum steht. Langsam lädt sie ihn über eine sich intensivierende Bewegungsdynamik auf. Zunächst knetet sie die Sitzsäcke, lässt sie zusammen mit dem eigenen Körper rotieren - erst am Boden, dann in der Luft, später um die eigene Achse. Gleich darauf wechselt sie die Raumebenen, schwingt ihren nach vorne gebeugten Oberkörper im Grätsch-Schritt wie eine menschliches Perpetuum mobile immer wieder vom Boden in die Höhe und wirft Sitzsäcke in hohem Bogen durch die Luft. Die Quelle dieses zentrifugalen Bewegungsstroms ist hier, wie man annehmen könnte, jedoch kein falsch verstandener Arbeitsehrgeiz. Pregrads Körper bleibt weich und durchlässig, sie scheint nichts erzwingen zu wollen. Sie praktiziert ein Loslassen, ohne Kontrollverlust. Und entwickelt darüber Kraft.

Im Rhythmus der vibrierenden Hell-Dunkel-Komposition des Lichtdesigners Florian Bachs macht der Zuschauer eine permanente Erfahrung von Nähe und Distanz. Beleuchtet nur ein Licht den Raum, mutet die Symbiose aus menschlichem Körper und Sitzsack wie der Umriss einer amorphen Schattenfigur an. Kommen mehrere Lichter dazu, verwandelt sie sich in ein prozesshaftes skulpturales Gebilde. Die unabgeschlossenen, mal flächig, mal massig erscheinenden Formen lösen sich so aus dem Raum heraus und schieben sich wieder in diesen hinein. Der Zuschauer wird dabei in einen eher spür- als sichtbaren Loop sich wiederholender Gegendynamiken gelockt.

„Form und Masse“ beeindruckt vor allen Dingen durch seine eigenwillige Raumarchitektur sowie durch Schads Bewegungsästhetik, die im Zusammenspiel mit Licht- und Sounddesign einen Erfahrungsraum eröffnet, der den Tastsinn des Zuschauers unmittelbar anzusprechen scheint. Auch bildet sie, wie man an „Der Bau – Gruppe 12x60“ so schön sehen konnte, eine wichtige Grundlage innerhalb Schads Research. Als eigenes Stück jedoch enttäuscht sie dramaturgisch durch einige Längen sowie ein etwas zu abrupt gesetztes Ende.
 

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