Die Tanzplattform 2014 in Hamburg
Die Tanzplattform 2014 in Hamburg

Familientreffen, Kunstmesse, Marktplatz

Die Tanzplattform in Hamburg

Familientreffen, Kunstmesse, Marktplatz, Talentbörse, Bestandsaufnahme und Seismograph aktueller ästhetischer Entwicklungen frei schaffender Choreografen im Zeitgenössischen Tanz - die am Sonntag zu Ende gegangene zehnte Tanzplattform ist ein mächtiger, vielköpfiger Hybrid, der sowohl sehnsüchtig erwartet als auch argusäugig beäugt wird.

Hamburg, 04/03/2014

Familientreffen, Kunstmesse, Marktplatz, Talentbörse, Bestandsaufnahme und Seismograph aktueller ästhetischer Entwicklungen und Produktionsbedingungen frei schaffender Choreografen im Zeitgenössischen Tanz - auch die jetzt am Sonntag zu Ende gegangene zehnte Tanzplattform ist, was sie ist: ein mächtiger, vielköpfiger Hybrid, der zuweilen sehnsüchtig erwartet und zugleich argusäugig beäugt wird.

Zwölf Performances und zehn junge Künstler im Pitching bildeten das Kernprogramm der Tanzplattform. Der Besucherstrom war im Vergleich zur Tanzplattform 2012 in Dresden gleichbleibend groß: Knapp 7.000 Besucherinnen und Besucher wurden bei dem insgesamt 37 Veranstaltungen umfassenden Großevent gezählt – keine Frage: Zeitgenössischer Tanz, eine in Deutschland immer noch unter politischen und wirtschaftlichen Aspekten marginalisierte Kunstform, wird gesellschaftlich wahrgenommen.

Die Pionierphase sei abgeschlossen, resümierte Kuratorin und Dramaturgin Sigrid Gareis denn auch Freitagmittag in der Runde zum Thema „Die Zukunft des Tanzes“. Die Bundesförderung ist erhöht worden und zum ersten Mal in der Geschichte hat der Tanz als international ausstrahlende Kunstform ausdrückliche Erwähnung in einem Koalitionsvertrag gefunden. Produktionsorte, Aufführungsmöglichkeiten und Netzwerke haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren etabliert, bieten existenzielle Rahmenbedingungen und wirken auch auf die ästhetische Entwicklung im Zeitgenössischen Tanz ein. Deutlicher wie nie zuvor trat bei dieser von einer Veranstaltergemeinschaft getragenen Plattform der neue Künstlertypus hervor: Ausgebildet an den Hochschulen und beeinflusst vom Konzepttanz und Künstlern, die aus anderen Kunstsparten kommen, entwickelt er Tanz und Performance verstärkt als Forschungsfrage aus einem Aspekt heraus: Was bedeutet Intimität im öffentlichen Kontext, um beispielsweise auf Projekte des Künstlerpaars Verena Billinger und Sebastian Schulz hinzuweisen, oder wie lässt sich die Hysterie als seelisches und gesellschaftliches Phänomen auf ein Körperbild übertragen, so eines von Sheena McGrandles Projekten. Spannend erwies sich in diesem Zusammenhang Josep Caballero Gracias Auseinandersetzung mit „Sacre“ – schade, dass es diese mehrteilige Arbeit – im Gegensatz zu dem unberechtigten Part von Isabelle Schad, „Der Bau“ - nicht ins Hauptpogramm geschafft hatte. „Künstlerisch haben wir auf hohem Niveau eine Sättigung erreicht,“ sprach Gareis weiter, und ließ eine diffuse Ratlosigkeit spüren, wie denn der Tanz der Zukunft aussehen soll. Zu sehr sei der Tanz in den letzten Jahren durch Strukturen, Konzepte und das Handeln der Veranstalter belastet worden, führte Gareis weiter aus. Letztere sollten sich, so ihre Mahnung an die eigene Klientel, wieder ein Stück weit zurücknehmen und ihre Macht transparent machen. Schärfer drückte sich Stefan Hilterhaus, Künstlerischer Leiter von PACT Zollverein, aus: „Es kann nicht sein, dass wir junge Menschen exzellent in Tanz und Performance ausbilden und hinterher auf der Bühne mit Dumping-Preisen abspeisen!“ „Wer ist das Pferd und wer ist der Reiter?“

Gareis Schlusswort bildeten schließlich den Auftakt einer Diskussion, die - zum Teil emotional geführt - bis in das Schlusspanel am Sonntagnachmittag reichte und immer wieder die Jury an den Pranger stellte. Diese, mit Bettina Masuch, Esther Boldt, Sophie Becker und Amelie Deufelhard und zwei ihrer Tanzdramaturginnen komplett weiblich besetzt, gab dazu am Samnstagnachmittag leider die Steilvorlage, indem sie in anfänglich unglücklichen Äußerungen die künstlerische Qualität oder den Einsatz der künstlerischen Mittel nicht als wichtigstes Qualitätsmerkmal ausgerufen und zudem das breite Feld von seit vielen Jahren kontinuierlich produzierender und regional verbundener Choreografen für die Auswahl außer Acht gelassen hatte. Sollte man einen Überblick über die zeitgenössische Tanzlandschaft in Deutschland geben? Oder doch eher auf wichtige Aspekte verweisen, waren laut Masuch einige der Fragen, die sich die Jury intern gestellt hatte. Und wen dann nehmen? „Es gibt in Deutschland ein paar erfolgreiche freie Kompanien, dann ein paar avancierte, unter denen keiner in Frage kam für die Tanzplattform, und dann viele junge Choreografen“, behauptete Esther Boldt und sorgte mit dieser Äußerung für leise Unruhe. „Am Ende dominierten pragmatische Aspekte“, so Masuch, sprich: ob die Produktionen tourfähig seien. „Die Qualitätsfrage kam dann zuletzt.“ Die von Gareis kritisierte Macht der Veranstalter – hier fand sie denkwürdig eine merkwürdige Spiegelung und entlarvte die strukturelle Schwachstelle der Tanzplanzform, mehrere Zielvorgaben gleichzeitig erfüllen zu wollen: die vielversprechendsten Choreografen zu finden, die interessantesten Arbeiten aus den letzten zwei Jahren zu entdecken, die ästhetischen Tendenzen im aktuellen Zeitgenössischen Tanz zu benennen und Sprungbrett zu bilden für Gastspiele im In- und Ausland. Das konnte, so gesehen, nur schief gehen oder zu einem verzerrten Bild führen und sollte genug Antrieb sein, einen neuen, vielleicht weniger additiven kuratorischen Ansatz zu finden.

Denn: Keine Frage sind Meg Stuarts „Built to Last“, William Forsythes „Sider“, Laurent Chétouanes „15 Variationen über das Offene“ oder Raimund Hoghes „Cantatas“ herausragende Werke in der aktuellen Produktionslandschaft und bilden überzeugende Positionen in der aktuellen Choreografie ab. Alle vier sind Künstler, die sich über Jahre und Jahrzehnte entwickelt haben, die in der Tiefe schürfen, komplexe, empathische Dramaturgien mit doppelten Böden zu entwerfen vermögen und zu mutigen und klaren Bildern und Spiegelungen gesellschaftlicher Realität finden. Der Tanz als das Nicht-Sprachliche, das am Ende nicht Greifbare aber den Mensch in seinem tiefsten Innern Berührende – hier ist er vorhanden. Da diese aber gerade jene Künstler sind, die gerade nicht auf die Tanzplattform angewiesen sind, um international touren zu können, wäre es vielleicht tragfähiger gewesen, auch sogar im Dialog mit ihnen Werke gegenüber stellen, von deren Dynamik diese im Bezug auf die eigene Tourfähigkeit sogar noch profitieren? So hätte Micha Puruckers „News Garden“ wegen seiner gleich hohen Empathiefähigkeit und Komplexität weiterhin als eine spannende Gegenposition zu Chétouanes „Variationen“ funktioniert; Richard Siegals „Black Swan“ hätte man mit einer Soloarbeit aus dem zeitgenössischen Ballett oder wirklich einem Choreografen aus der Provinz konfrontieren können, wie dies auch Renate Klett vorschlug. Raimund Hoghes „Cantates“ hätte beispielsweise Georg Reischs Arbeit in ein anderes Licht gestellt. VA Wölfls provozierende Darbietung seiner kurzen Stücke hätte man schließlich kühn mit Douglas Lees skulpturalen Werken kurzschließen können. Der entscheidende Satz fiel Freitagnachmittag in der Zukunftsrunde von Madeleine Ritter: „Neben jenen Choreografen, die in Deutschland zu den international herausragenden zählen, arbeiten viele Künstler in Deutschland für den Tanz in den Städten, in denen sie leben. Sie choreografieren und präsentieren vor Ort und touren nicht. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen, denn auch sie müssen gefördert werden“ – und entdeckt!

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