„Chore(o)graphie/Journalismus: kurze Stücke“ von VA Wölfl

„Chore(o)graphie/Journalismus: kurze Stücke“ von VA Wölfl

Spass im kollektiven Chaos

Ein Blog zur Tanzplattform 2014

Carolin Jüngst, Absolventin der Theaterwissenschaft an der LMU München, ist für uns bei der Tanzplattform 2014 auf Kampnagel Hamburg und wirft einen Blick auf die eingeladenen Produktionen.

Hamburg, 03/03/2014

Von Carolin Jüngst

Da war er endlich, der Abend von VA Wölfl/Neuer Tanz mit „Chre(o)graphie/Journalismus: kurze Stücke“, auf den ich schon mit größter Spannung gewartet hatte. Vorweg gesagt: Ich fand ihn großartig, andere schrecklich.

Nachdem ich die Tribüne betreten und meinen Platz gefunden hatte, warf ich einen Blick auf die Bühne, die ganz einfach weiß war – unglaublich weiß und unglaublich grell. Eine erste Provokation. Den Anfang des Spektakels nahm eine kurze Rede der Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, die sich für die Verspätung entschuldigte (die Frage nach dem Zeitmanagement bleibt wohl unbeantwortet) und ankündigte, dass im Folgenden eine neue Hamburger Version präsentiert werden würde: und zwar „short pieces out of the short pieces“. Als nächstes folgte der Auftritt VA Wölfls selbst, der über allen möglichen Sens und Nonsens sprach, zum Beispiel über die Typographie des Titels oder darüber, dass die Kunst die volle Kontrolle des Künstlers brauche. Außerdem empfahl er den sensiblen Zuschauern, falls sie eine „strange tingling sensation“ während des Stücks fühlen würden, ganz einfach zu schreien. Großes konnte hier erwartet werden.

Weiter ging es mit dem Auftritt von acht in Glitzeroutfit gekleideten und mit Gewehren ausgestatteten Personen, fünf Männer und drei Frauen. Zweifellos schick. Sie fingen an, minimale Bewegungen synchron auszuführen, nahmen schließlich eine Position ein und zielten dann mit ihren Waffen, unter anderem auf die Zuschauer. Ein schauerliches Bild und ein komisches Gefühl, das sich in mir breit machte. Den Zuschauern ihre Erwartungshaltung um die Ohren zu knallen, das kann VA Wölfl zweifellos gut – zum Schuss kam es jedoch letzten Endes, aber natürlich gerade deswegen, nicht, sondern zu einem schlagartigen Ende des Moments. Die Pose wurde abgebrochen, die Waffen auf den Boden gelegt (wo sie übrigens die Dauer des gesamten Abends liegen blieben) und die Tänzer gingen von der Bühne. Übrig blieb nur eine der Darstellerinnen, die zu Beginn noch in der Mitte des Raumes einen Tanz aus langsamen, puristischen Bewegungen ausführte, sich jedoch schon bald auf einem Fußballfeld, umgeben von grölenden, buhenden Fans befand. Die Rede ist hier von einer flächendeckenden Projektion auf den gesamten Raum. Auch diese Szene, anders nicht zu erwarten, nahm ein abruptes und absurdes Ende. Die anderen Tänzer kamen und verbeugten sich. Oder banden sich eben die Schuhe. All das natürlich in blendend grell-weißem Licht. Auf dieses Spektakel folgte das erste vermeintliche Ende. Das Saallicht wurde angemacht, die Türen geöffnet und einige Leute verließen erleichtert die K6. Der Applaus hielt sich in Grenzen, jedoch eher aus Verwirrung als aus Ablehnung.

Nach diesen wunderbaren Minuten des kollektiven Chaos, in denen sich eine sonst nicht vorhandene Aufmerksamkeit und Konzentration im Saal herstellte, ging es weiter, mit dem zweiten „short piece“, oder vielleicht dem dritten? Ein Instrumenten-Case wurde hereingefahren und ein blechernes, monotones Rock-Konzert begann, begleitet von einer Stimme aus dem Off, die über Wissen und Nicht-Wissen referierte. Nach einer Weile löste sich eine der Tänzerinnen, ging zu dem Case, zog sich aus und öffnete den Schrank: heraus rollten unzählige vom Schwarzlicht angeleuchtete neongelbe Tennisbälle. Ein schönes Bild und ein Ereignis unter vielen, ganz simpel, ohne Kommentar und wundervoll absurd.

Mit Absurdität ging es natürlich weiter – es folgten Ereignisse wie das Auftreten eines japanischen Gitarrenspielers, eines Tänzers mit Sonnenbrille und einiger Darsteller, die kurz und ruckartig, mit den Waffen in der Hand, Posen präsentierten. Auf ein erneutes Rätseln, ob dies nun das Ende sei, folgte ein Moment voller bizarrer Komik: zwei Darsteller betraten die Bühne, gingen zu dem Case, schlitterten auf den Tennisbällen, hielten gerade noch so das Gleichgewicht und verließen die Bühne wieder. Ich amüsierte mich prächtig.

Dann war das Stück schließlich wirklich zu Ende (was das Personal den Zuschauern übrigens ebenfalls mitteilte – die einzige völlig inkonsequente Maßnahme), das Spektakel jedoch ging weiter. Ein Mann in der ersten Reihe verließ den Saal, eine Stimme aus dem Publikum schrie „Jetzt nicht aufgeben!“. Die Zuschauer lachten, hielten inne, lachten wieder, schauten sich fragend an, holten ihre iPhones heraus und fotografierten, fingen an sich zu unterhalten und lachten gemeinsam.
 

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