„Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Xin Peng Wang

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Xin Peng Wang

Totentanz im Walzertakt

Xin Peng Wangs Ballett „Geschichten aus dem Wiener Wald“

Aufwändig choreografiert, bravourös getanzt in Schläppchen und auf Spitze, im raffiniert theatralen Ambiente und mit vorzüglicher Musik - so wird Dortmunds neue Ballettproduktion wieder zum Publikumsmagneten.

Dortmund, 23/02/2014

Der Totentanz muss in Wien natürlich ein Walzer sein. Mit dem „Kaiserwalzer“ beginnt und endet Xin Peng Wangs Ballett „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach Motiven aus dem gleichnamigen Volksstück des Ungarn Ödön von Horváth. Aber gleich im Prolog mischen sich Dissonanzen in die festlichen Klänge. Alban Bergs Klaviersonate opus 1 weist auf das düstere Szenario: ein Schlachtfeld voller Gefallener - fünf Särge schweben darüber. Am Himmel lodert ein blutroter Streifen.

Vorn an der Rampe liegt ein schönes Kind (Stephanine Ricciardi), ganz in weiß gekleidet: unschuldig, in Erwartung des Lebens und doch schon vom Tod berührt. Aus dem Schatten treten fünf Menschen in die helle Welt zurück - um Versäumtes nachzuholen, Fehler auszubessern. Vor allem Marianne will ganz anders leben: sich nicht von dem Hallodri Alfred betören lassen, nicht wieder ihr Kind anderen anvertrauen (Alfreds Mutter und Großmutter, der Baronin), die es zu Tode „pflegen“. Dem grobschlächtigen Metzger Oskar will sie treue Gattin, eine fürsorgliche Mutter werden - aber nichts gelingt ihr. Übers Jahr wird sie, nach der Wiener Legende, aus dem Totenreich wieder ins Leben zurück müssen, um es endlich richtig zu führen und die ewige Ruhe zu finden.

Von Horváths Tragödie aus dem kleinbürgerlichen Wiener 8. Gemeindebezirk ist nur ein spärliches Gerippe übrig in Christian Baiers Szenario. Der Tod ist omnipräsent. 15 Totenskelette schweben vom Schnürboden. Marianne umarmt sie spielerisch (bei Horváth in des Vaters Spielzeugladen), scheint ganz vertraut mit ihnen. Dass sie Oskar nichts abgewinnen kann, ist verständlich: zudringlich ist er, ohne Fantasie und Träume, die sie noch hat. Ganz anders Alfred - ein Galan, ein Filou, ein Beau und Habenichts, der die Hände lässig in den (leeren!) Hosentaschen vergräbt. Marianne verfällt ihm, er verlässt sie, weil das gemeinsame Kind nicht in sein müßiges Leben passt. Marianne rettet sich in ihrer Verzweiflung in die Kirche. Aber dort lauert unter der weißen Mönchskutte der Tod: man verzeiht ihr die „wilde Ehe“ und den „Bastard“ nicht. Zurück muss sie zu Oskar - und ist innerlich tot, leichte Beute für Gevatter Tod.

Berührend tanzt Monica Fotescu-Uta Mariannes Verzweiflung, technisch ungemein diffizil. Immer wieder knicken die Füße um, verheddern sich die Arme, krümmt sich der Körper unter dem Seelenschmerz. Dmitry Semionov ist ein eher zurückhaltender Alfred mit entwaffnender Nonchalence. Beide blühen auf, als ihre Liebe zueinander erwacht. Ihr Pas de deux ist eine der schönsten Szenen des Balletts - voller Eleganz und Geschmeidigkeit. Man hört förmlich den poetischen Dialog des gegenseitigen Verstehens: „Ach, wir armen Kulturmenschen, … keiner darf, wie er will... keiner will, wie er darf... keiner darf, wie er kann - und keiner kann, wie er soll“.

Emilie Nguyen gibt eine hinreißend charmante, kokette Valerie - weit entfernt von Horváths verwitweter Trafikantin, hier eher Puccinis Musetta aus „La Bohème“. Howard Quintero Lopez ist mehr bieder als grobschlächtig brutal, wie Horváth den Metzger Oskar zeichnet. Mark Radjapov tanzt als Gevatter Tod sein klassisches Repertoire mit Bravour aus - unnahbar und unheimlich in mannigfacher Gestalt.

Auf das Bedrückende des Wiener Kleinbürgerlebens aus Horváths berühmtestem Volksstück verweisen nur die Schläppchen und sackgrauen Kleidchen zu Beginn. Oft will die ausgelassene, knisternde Strauß'sche Walzerseligkeit nicht passen, wirkt geradezu zynisch wie Horváths satirischer Unterton. Bergs Kompositionen bremsen die Leichtlebigkeit aus. Aber insgesamt verströmen die große Bühne - Frank Fellmann setzt raffiniert theatrale Akzente - und die weißen Kostüme von Alexandra Schiess ein mediterranes Flair, leicht und hell. Ballerinen auf Spitze, das Corps in altmodischen Badeanzügen - beim Bad in der „schönen blauen Donau“, beim Ausflug in den Wienerwald - sorgen für eine unterhaltsame Note. Überaus aufwändig sind die Dortmunder Ballettproduktionen stets, grandios getanzt und sehr publikumswirksam.
 

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