Westliche Dekadenz und östliche Tabus

„Les Ballets C de la B“ in Ludwigshafen mit der Deutschlandpremiere „Asobi“ von Kaori Ito

Kaori Ito kennt sich bestens aus mit dem Spiel der Verführung, das hier auf vielen Ebenen beleuchtet wird: Wenn sie eingangs sozusagen einen halben Striptease vollführt, bei dem die den Zuschauern zugewandte Körperseite bedeckt bleibt, die andere, im Spiegel zu sehende, mit Nacktheit kokettiert, dann sind die Weichen schon in die Richtung komplexer Bilder gestellt.

Ludwigshafen, 23/12/2013

Kaori Ito ist eine Art Wunderwaffe in Sachen Tanz- und Choreografie: Die Japanerin hat schon mit dem Alvin Ailey Dance Theatre gearbeitet, mit Philippe Decouflés, Angelin Preljokaij, Sidi Larbi Cherkaoui und auch mit Alain Platel. Der Gründer und Leiter der belgischen Compagnie „les ballets C de la B“ ist immer für künstlerische Experimente gut – und hat Kaori Ito den Rahmen für ihr eher unkonventionelles Projekt „Asobi“ geboten. Drei Frauen – darunter die Choreografin selbst – und zwei Männer üben sich darin in Spielen für Erwachsene (so die wörtliche Übersetzung des Titels). Diese Spiele sind eindeutig erotischer Natur und setzten gekonnt die Grauzone von Tabubruch und Voyeurismus ins Bild. Szenische Inspirationen holte sich Kaori Ito bei Jean Cocteau, dem Altmeister bizarrer erotischer Dekadenz. Ein außergewöhnliches Ensemble von sieben Musikern, SPECTRA (auf der Bühne platziert), sorgt mit Kompositionen von Guillaume Perret und Marybel Dessagnes für den passenden schwülen musikalischen Sog.

Die Bühne wird beherrscht von einem großen Spiegel, vor dem die Akteure tanzen und in dem die Zuschauer sich wiederfinden – in der Rolle gebannter Voyeure. Kaori Ito kennt sich bestens aus mit dem Spiel der Verführung, das hier auf vielen Ebenen beleuchtet wird: Wenn sie eingangs sozusagen einen halben Striptease vollführt, bei dem die den Zuschauern zugewandte Körperseite bedeckt bleibt, die andere, im Spiegel zu sehende, mit Nacktheit kokettiert, dann sind die Weichen schon in die Richtung komplexer Bilder gestellt.

Die studierte Soziologin und bekennende Feministin entlarvt die in Japan üblichen Klischees (Asobi ist Männersache) ebenso wie plattes Denken über Vormachen und Zuschauen. Dass es auch Verführung zu Gewalt im erotischen Austausch gibt und eine große Macht darin liegen kann, Brutalität herauszufordern – das setzt die Choreografin mit erstaunlicher Eleganz ins Bild. Die übliche Distanz zwischen Publikum und Darstellerin wird nicht nur im Spiegel symbolisch aufgebrochen; am Ende springt sogar einer der Tänzer über die Rampe und nimmt im Publikum Platz.

Kaori Ito weiß genau um die kulturellen Codes der japanischen Gesellschaft, die nach außen hin so viel Wert auf glatte Fassade legt und gerade deswegen extremes Ausbrechen aus den Konventionen– etwa in der Pornographie – hervorruft. Bei aller vorgeblichen Ekstase wirken die Tänzer wie gefesselt, weisen in den Tabubrüchen gerade auf bestehende Tabus hin.

Das Publikum kann sich 60 Minuten lang selbst beim Zuschauen beobachten – bequemes Guckkastentheater geht anders, aber intelligentes Kopfkino beginnt genau so... mit einer Einschränkung: Der Pfalzbau-Theatersaal ist zu groß für das Setting dieses Stücks. In einem intimeren Rahmen, wie er im zeitgenössischen Tanz vielfach üblich ist, könnten sich auch Besucher der hinteren Reihen der frappierenden Wirkung dieses Stücks nicht entziehen.

Der Artikel ist am 23.12.2013 auch in der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen.
 

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