„Fantasia“ von Xin Peng Wang

„Fantasia“ von Xin Peng Wang

Nimm dein Schicksal in die eigene Hand!

Xin Peng Wangs „Fantasia“ reloaded überzeugt mit vielen hinreißenden Szenen und Musik wie geschaffen für Nachtmahre und Märchen!

Ein besonderes Geschenk vor Weihnachten bietet das Ballett Dortmund seinen großen wie kleinen Zuschauern.

Dortmund, 23/12/2013

Das Ballett Dortmund beschenkte sein junges Publikum zwei Tage vor Heiligabend spontan mit einem besonderen Bonbon: Xin Peng Wangs Ballett „Fantasia“ mit einer Einführung speziell für Kinder samt Blick hinter die Kulissen − für manche offenbar so schön wie ein Blick durchs Schlüsselloch ins Weihnachtszimmer. Ein Dutzend Winzlinge in der ersten Reihe zeigte sich verblüffend aufmerksam und theatererfahren. Und mucksmäuschenstill war es bis zum Schlussapplaus nach über zwei Stunden Aufführung.

So straften die Kleinsten manch' alte Theaterhasen Lügen, die behaupten, dass „Fantasia“ von Librettist Christian Baier und Choreograf Xin Peng Wang selbstverliebt allzu ausführlich zelebriert werde. Weniger plakative Floskeln im Programmheft, kürzere Ensembleszenen und ein paar rigorose Striche stünden diesem ebenso fantasie- wie liebevoll verpackten Ballett (Bühne: Frank Fellmann, Kostüme: Maria Elena Amos) ganz sicher gut zu Gesicht. Auch könnte der Titel − abgeleitet von Fantasie als Mittel der Selbstfindung − gut ohne die Disneyfilm-Assoziation auskommen und die tapfere Alicia − so sehr ihre Alpträume an „Alice in Wonderland“ erinnern − ruhig einen wirklich eigenen Namen tragen.

Andererseits aber bietet dieses Ballett, Ende 2011 uraufgeführt und nun in leicht revidierter Form neu einstudiert, hinreißende Szenen und Musik wie geschaffen für Nachtmahre und Märchen. Sinfonisches, Opernausschnitte und Klavierminiaturen von Modest Mussorgsky bilden den überaus plastischen Klangteppich, durchwebt von funkelnder Dramatik, praller Heroik und zarter Lyrik. Die Dortmunder Philharmoniker unter Philipp Armbruster und Pianistin Tatjana Prushinskaya geben ihr Bestes - und das ist sehr, sehr viel! Wangs fast puristisch neoklassischer Stil gewinnt begeisternde Lebendigkeit durch die unaufdringlich, aber doch deutlich wahrnehmbare Inspiration aus musikalischer Rhythmik und Dynamik.

Vor allem begeistert der neu eingefügte Tanz der schwarzen Raben, wogegen der Tanz der Drachen(klauen) unter dem drohend über der Szene schwebenden, feuerspeienden Ungeheuer mit den glühendroten Augen eher steif und einfallslos daherkommt. Herrlich die drei Kitzelmänner: spindeldürre Lulatsche, kahlköpfig und fast nackt − der eine mit Buckel, der zweite mit dicker Wampe, der Dritte ein dürres Skelett − alle mit Tierhufen, riesigen Segelohren, Spinnenbein-Fingern und köstlich gruseligen Grinsegrimassen. Glühwürmchen tanzen durch die Nacht. Zauberhaft - und gar nicht „gemein“ hüpfen vier quirlige, quietschgelbe Vögel zum „Tanz der Küken in den Eierschalen“ aus den „Bildern einer Ausstellung“ im nächtlichen Wald um Alicia herum.

Schön auch, dass bei dieser Kindervorstellung die Eleven des Balletts zum Zuge kamen, z. B. Yuto Ideno und Takahiro Tamagawa als tapsig-behender Käfer und Julia Vargas Gil als Alicias Spiegelbild. Auch viel mehr Kinder der Ballettschule La Pointe treten an diesem Nachmittag auf als bei der Uraufführung (und vielleicht auch bei den Abendvorstellungen).

Problematisch bleibt das Libretto von Christian Baier. Die Traum- und Märchenbilder stellt er in eine realistische Rahmenhandlung: zwei Geschwister sind nach schwerer Krankheit an den Rollstuhl gefesselt. Während Florian (zerbrechlich und zurückhaltend: Eugenio Cilenco) seine Wut auf einen Handpuppen-Drachen überträgt, müht sich Alicia (mädchenhaft reizend, forsch und technisch versiert mit ihrer eigenen eckig-graziösen Gestik: Barbara Melo Freire) wieder gehen zu lernen. Unbedingt will sie ihr Schicksal bezwingen. Die Fee der Zuversicht (unnahbar herb: Risa Tateishi) macht den Wunschtraum wahr. Sie befreit Alicia von der Orthese. Der diabolische Dr. Zaponetti (mit eleganter Ballerino-Aura: Mark Radjapov) verwandelt Florian in einen furchterregenden, kinderfressenden Drachen. Am Ende aber sind die Geschwister gesund vereint und tanzen in den siebten Himmel hinein (dank Bühnentechnik), während die Rollstühle auf der unteren Etage verwaist im Kinderzimmer stehen. Schön und gut. Nur: wie viel schöner wäre ein großes Finale mit all den köstlich kostümierten Traumgestalten!
 

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