„Camille“ von Mei Hong Lin. Tanz: Ana Sánchez Martínez

„Camille“ von Mei Hong Lin. Tanz: Ana Sánchez Martínez

Danse sculpturale

Die Biografie der Bildhauerin Camille Claudel ist Ausgangspunkt des neuen Tanzstücks am Staatstheater Darmstadt

Choreografin Mei Hong Lin siedelt „Camille“ in der Anstalt an und zeichnet grandiose Gruppenbilder, die von disparaten irrlichternden Wesen zu konzentrierten, skulpturenähnlichen Gebilden werden.

Darmstadt, 22/12/2013

Das war keine fröhliche Einstimmung auf Weihnachten, was da am Staatstheater Darmstadt Premiere feierte. Ein düsteres, beängstigendes, geradezu claustrophobisches Stück Tanz ist es geworden. Direktorin Mei Hong Lin hat sich vom Schicksal der Camille Claudel (1864-1943) inspirieren lassen, die bekannt wurde als Schülerin und Geliebte des Bildhauers Auguste Rodin. Deren eigenes bildhauerisches Werk im Schatten des großen Mannes stand, tatsächlich nur klein ist und von der Kunstgeschichte lange unbeachtet blieb.

Ihr Freiheitswillen war gegen sämtliche gesellschaftliche Konventionen gerichtet, doch sie scheiterte in allem, schottete sich schließlich gegen die Außenwelt ab und wurde nach dem Tod ihres Vaters von Mutter und Bruder, dem Schriftsteller Paul Claudel, in einer Nervenheilanstalt untergebracht und trotz flehender Bittbriefe nicht wieder rausgeholt. Dort verbrachte sie mehr als die Hälfte ihres 78-jährigen Lebens in Isolation. Kunst hat sie keine mehr geschaffen.

In der Anstalt siedelt Mei Hong Lin ihr Tanzstück an. Ihre Camille ist gesplittet in Drei: die junge Kreative (Veronica Bracaccini), die dem Wahn verfallende (Sofia Romano) und die in der Anstaltsrealität Lebende (Ana Sánchez Martínez). Wer erwartet, eine starke Künstlerpersönlichkeit zu erleben, der wird enttäuscht. Wieder einmal nimmt Lin sich die Welt des Wahns vor, zeichnet Zerrissenheit und paranoide Zustände. Das kann sie grandios in ihren Gruppenbildern, die von disparaten irrlichternden Wesen zu konzentrierten, skulpturenähnlichen Gebilden werden.

Die Atmosphäre wird wesentlich geprägt von der Musik (vom Tonträger); wieder eine Auftragsarbeit für Sven Weber, der Geräusche, Stimmen, auch mal Musikinstrumente, zu Gänsehaut erzeugenden Crescendi führt. Das Bühnenbild ist statisch, blockhaft, geradezu monumental in seiner 1970er Jahre Beton brût-Anmutung. Nur einmal bewegt sich eine Wand, um alles noch enger und beklemmender zu machen. Die Kostüme von Bjanka Ursulov tragen auch nicht gerade zum ästhetischen Vergnügen bei: Die Frauen in nachthemdähnlichen kurzen Kleidchen und die Männer in Schlafanzugshorts zeigen immer nackte Beine und Füße. Mal gibt es übergestülpte Korsagen mit Cul de Paris-Silhouette und die dominierende, ja gewalttätige Männerwelt kommt mit Jackett und Stiefeln daher, was die wirklich beängstigende Szenerie verstärkt.

Nur eine Szene gegen Ende des 70-minütigen, pausenlosen Stücks bietet Gelegenheit zum Durchatmen, wenn sich Camille an ihre zärtliche Liebe zu dem Komponisten Debussy erinnert, getanzt von einem eindrucksvollen Christopher Basile. Weitere Tänzer sind: Lee Bamford (Rodin), Emmanuel Dobby, Celedonio I. Moreno Fuentes (Vater), Trung Pham Bao, Emanuele Rosa (Bruder), Jack Widdowson; weitere Tänzerinnen: Johanna Berger, Daphne van Dooren, Ines Fischbach, Stellina Jonot, Laura Witzleben (Mutter).
 

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