Hofesh Shechter

Hofesh Shechter

Zu Gast im österreichischen „Tanztempel“

Ein Gespräch mit Hofesh Shechter

Marieluise Jeitschko sprach mit dem israelischen Choreografen in St. Pölten

St. Pölten, Hofesh Shechter, „Sun“, 16/12/2013

Von Melbourne nach London, demnächst in Paris und zwischendrin in St. Pölten als „artist in residence“. Hofesh Shechter scheint Kontraste zu lieben, künstlerisch wie privat. Nein, privat sei er nie, widerspricht der weltberühmte Choreograf, ein freundlicher Hüne im gelb-schwarz karierten Sporthemd, denkbar unkompliziert im persönlichen Umgang und dennoch mit Leib und Seele Künstler. Immer geisterten Ideen für neue Stücke, neue Musik in seinem Kopf herum, beharrt der gelernte israelische Schlagzeuger und Ex-Tänzer der Batsheva Dance Company.

Immer sei er voll konzentriert und funktioniere künstlerisch perfekt, unterstreicht Gastgeberin Brigitte Fürle. Die neue Intendantin des Festspielhauses St. Pölten - gebürtige Wienerin, promovierte Theaterwissenschaftlerin und versierte Kulturmanagerin, zuletzt Leiterin der Berliner Festspiele - will das Haus mit der futuristischen Architektur im Kulturviertel des Niederösterreichischen Landesregierungs-Quartiers, wo Tanz schon seit der Eröffnung im Jahr 1997 eine Hauptrolle spielt, zum „Tanztempel“ erheben. Natürlich bleiben die Niederösterreichischen Tonkünstler auch weiterhin Hausorchester und das Angebot spartenübergreifend breitgefächert.

Aber mit den Tanzresidenzen - auf Shechter folgt im Frühjahr Lemi Ponifasio - nimmt Fürle den internationalen Trend auf, freischaffenden Künstlern ein Experimentierfeld auf Zeit zur Verfügung zu stellen. Sie erhofft sich davon auch die direkte Kommunikation zwischen Zuschauern und Künstlern, somit mehr Aufgeschlossenheit dem zeitgenössischen Tanz gegenüber. Schon nach der begeistert gefeierten Aufführung von Shechters „Political Mother“ in Berlin war ihr klar, dass sie auch weiterhin mit ihm zusammenarbeiten wollte. Mitsamt seiner 14-köpfigen Company lockte sie den im südenglischen Brighton ansässigen Israeli gleich in ihrer ersten St. Pöltener Saison ins Festspielhaus. Zwischen Aufführungen von „Political Mother“ und „Sun“ lagen für die Truppe zehn Arbeitstage, Begegnungen mit angehenden Tänzern und eine „Preview“ von „Sun“ für die jungen Nachwuchskünstler. „Ich liebe es, mit jungen Leuten zusammen zu sein“, sagt Shechter. „Die leidenschaftlichen, kompetenten Kommentare und Beobachtungen hier waren eine echte Inspiration für meine Tänzer und haben das Stück wirklich weiter gebracht“.

Auch in Melbourne hielt sich die Truppe vor der Uraufführung von „Sun“ mehrere Wochen auf. Was ist der Unterschied zwischen so einer Künstlerresidenz in einer Metropole und in der Provinz? „In Großstädten wie Melbourne oder London geht man unter, kann sich verstecken, wird aber auch übersehen und vereinsamt leicht oder muss kämpfen. In einer kleinen Stadt schätze ich die Begegnung mit den Menschen. Hier beobachte ich viel mehr den Geist von ‚community‘ im Alltag. St. Pölten ist eine hübsche, sehr kleine, unaufgeregte Stadt, aber keineswegs verschlafen. Ich fühle mich hier behütet und genoss die Residenz als ein Privileg und Geschenk. Denn ‚Sun‘ war für mich die bisher größte Herausforderung. Ich kreiere instinktiv, das ist bei einem so vielschichtigen Stück aber hinderlich. Ich musste lernen, mich von mir selbst abzunabeln. Hier in der Stille zu sein, tat gut“, bekennt der 38-Jährige.

Beeindruckt zeigt sich Shechter von der Intensität und Offenheit der Publikumsgespräche in St. Pölten. „Die Europäer sehen ‚Sun‘ entspannter als zum Beispiel die Engländer, die sich an den kolonialistischen Seitenhieben reiben. Europäer sind sehr analytisch“. Amerikaner dagegen nähmen ‚Sun‘ leicht „und lachen viel“, beobachtet Shechter. Er definiert „Sun“ als eine „schwarze Komödie“ - sehr schwarz in der Tat; Angst einflößend für manche mit seinen Blackouts und markerschütternden Detonationen zwischen den hellen, oft ironisch bis sarkastisch kolorierten Tanzszenen. „Angst wollte ich überhaupt nicht machen“, beteuert Shechter. „Ich wollte über die Veränderungen der Welt und menschliche Emotionen nachdenken, Schicht für Schicht herausschälen und den Reichtum in uns mit den Menschen teilen - und feiern.“ Aber er sieht auch die Ambivalenz menschlichen Lebens und der Gesellschaft, suchte auch musikalische Disharmonie - und fand sie in Wagners „Tannhäuser“: schön an der Oberfläche, aber tiefschwarz unten drunter. „Diesen Sarkasmus brauchte ich“.

Einen „Held des epischen Tanztheaters“ nannte ein australischer Kritiker Shechter, einen „Magier“ andere. „Nein, mit Zauberei hat das alles nichts zu tun“, wehrt Shechter ab. „Kunst ist harte Arbeit. Aber Kunst manipuliert auf eine positive Art und kann wohl - anders als Politik - nach und nach die Menschen ein bisschen verändern“.

Seiner Zukunft sieht Hofesh Shechter mit großer Vorfreude und Neugier entgegen: am NDT studiert er „Uprising“ ein, danach eine Barockoper - welche und wo darf er jetzt aber noch nicht verraten. Womöglich in Tel Aviv? Dort begann seine Bühnenkarriere und die Auftritte mit seiner Company wurden euphorisch bejubelt - ein Ort also, an den er, jedenfalls als Gast, liebend gern zurückkehren würde.

Die deutsche Erstaufführung von „Sun“ ist am 3. und 4. Juli in Berlin.

www.hofesh.co.uk
www.festspielhaus.at

Kommentare

Noch keine Beiträge