„On Velvet“ von Marco Goecke. Tanz: David Moore, Ludovico Pace, Marijn Rademaker, Fabio Adorisio und Arman Zazyan

„On Velvet“ von Marco Goecke. Tanz: David Moore, Ludovico Pace, Marijn Rademaker, Fabio Adorisio und Arman Zazyan

Schau mir in die Augen, Tänzerin!

Zum neuen Stuttgarter Ballettabend „Fort//Schritt//Macher“

Das Stuttgarter Ballett feiert Premiere mit Hans van Manens „Frank Bridge Variations“, mit William Forsythes „workwithinwork“ sowie mit der Uraufführung von Marco Goeckes „On Velvet“

Stuttgart, 13/11/2013

Unter der ruhigen Oberfläche lauert gewaltige Spannung. Deswegen haben sich schon viele Choreografen an Benjamin Brittens „Variations on a Theme of Frank Bridge“ versucht, aber niemand so durchschlagend wie Hans von Manen. Der niederländische Altmeister der Moderne schuf 2005 für das Amsterdamer Nationalballett ein neoklassisches Stück für fünf Paare, in dem es so zurückhaltend und ästhetisch perfekt zugeht wie bei van Manen üblich – mit seiner persönlichen Handschrift der diagonal nach oben in den Raum gestreckten, dabei oft abgewinkelten Arme.

Umso wirkungsvoller sind die eruptiven tänzerischen Ausbrüche, die Zeugnis von der emotionalen Aufladung der Beziehungen ablegen. Anders als im klassischen Ballett, wo eine unverbindlichen Mimik zum Standard gehört, schauen sich die Paare ununterbrochen an – und wie! „Frank Bridge Variations“, (in der bewährten Ausstattung von Keso Dekker mit engen Trikots und drei variablen Prospekten) ist ein weiterer attraktiver Meilenstein im schon beachtlichen Stuttgarter Van-Manen-Repertoire.

„Fort//Schritt//Macher“ hat Ballettintendant Reid Anderson für seinen neuen Ballettabend im Opernhaus ausgesucht – und van Manen, längst ein Klassiker, verdient natürlich auch dieses Etikett; immerhin hat er den ersten Männer-Pas-de-Deux der Tanzgeschichte choreografiert und als erster Choreograf seine Tänzer auf der Bühne nackt auftreten lassen. Ein anderer, der unbestritten weltweit als einer der kreativsten und klügsten Erneuerer der Tanz-Tradition geschätzt wird, ist William Forsythe. Hier traute man sich in Stuttgart freilich nicht an seine aktuellen Arbeiten heran, sondern ließ das letzte der „Ballette über Ballett“ aus seiner Frankfurter Zeit aufleben. „Workwithinwork“ (1998) ist eine hoch komplexe Abrechnung mit den Spielregeln des klassischen Balletts. Immer wieder laufen Tänzer nonchalant auf der Bühne auf, geben überraschend stupende Proben ihres Könnens ab, bleiben noch ein wenig unbeteiligt stehen und verschwinden wieder im Halbdunkel der schwarz ausgeschlagenen Bühne. Dazu werden die „Duetti per due Violini“ von Luciano Berio live gespielt.

Marco Goecke, Stuttgarter Eigengewächs mit internationalem Durchbruch, steuerte eine aktuelle Uraufführung bei. Der Stuttgarter Hauschoreograf ist gerade für drei Jahre als „Associate Choreographer“ an Nederlands Dans Theater (NDT) in Den Haag berufen wurden. In seinen stets in dunklen Bühnenräumen angesiedelten Balletten hat er eine starke eigene Handschrift entwickelt, geprägt von vielen Rückenansichten und einer eigenwilligen, schnellen, kleinen Bewegungssprache.

Dazu hat er sich neue Musik für Cello und Orchester ausgesucht, „Segue“ von Johannes Maria Staud (2008). „On Velvet“ entführt einmal mehr in sein ganz persönliches Kopfkino, das auch auf der Bühne mit Klappsesselreihen präsent ist (Bühne und Kostüme: Michaela Springer; Licht: Udo Haberland) und einmal mehr das Spiel mit Vorder- und Rückenansicht erlaubt. Seine Protagonisten werden anfangs wie Spielzeugfiguren regelrecht aufgezogen, bevor sie aufs Schönste zucken und zappeln dürfen. Es liegt ein alptraumhafter Bann über der Szene, aus dem am Ende Marijn Rademaker – der Star des Abends – ausbricht: im Liegen! Dazu tönt pompös Edward Elgars „March of the Mogul Emperors“ aus dem Orchestergraben, wo James Tuggle die anspruchsvolle Musikauswahl des Abends bestens im Griff hat.
 

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