„Cinderella“ von Stijn Celis. Tanz: Denis Untila, Artur Babajanyan

„Cinderella“ von Stijn Celis. Tanz: Denis Untila, Artur Babajanyan

Stijn Celis choreografiert „Cinderella“ in Essen

Reif für die große Liebe

Wie schon Hans Werner Henzes „Undine“ 2010 choreografiert Stijn Celis jetzt auch sein zweites Essener Ballett, Prokofjews „Cinderella“, ganz nah an der Musik. Ein köstliches Balletterlebnis!

Essen, 04/11/2013

Minutiös setzt der Belgier Rhythmen, Tempi, Verzierungen und Flair der Musik in Gestik um. Mit reiner „Illustration“ hat das nichts zu tun. Vielmehr unterstreicht Celis den theatralischen Esprit dieser so populären Komposition von 1945 in frappanter Weise. Und die Bochumer Symphoniker spielen ihm unter der Leitung von Yannis Pouspourikas in begeisternder Weise zu. Jede Nuance von lyrischer Romantik bis zur lärmenden Groteske bringen sie mit größer Spielfreude zur Geltung. Die Körpersprache des designierten Saarbrücker Ballettchefs ist mit ihrem parodistischen Buckeln und Stampfen ausgesprochen originell und ein absolut kongeniales Pendant zur Musik.

Diese „Cinderella“ beginnt ganz ähnlich wie Bridget Breiners Aschenputtel-Ballett „Ruß“ nebenan beim Gelsenkirchener Ballett im Revier: zum Prokofjew-Vorspiel sieht man das Bild einer glücklichen Familie - Vater, Mutter, Kind. Dann geht die Mutter weg. Zurück bleiben der trauernde Vater und das traurige Kind. Die Erinnerung an die verstorbene Mutter schweißt die beiden liebevoll zusammen. Als der Vater wieder heiratet, wird das Kind unsanft in die Außenseiterrolle geschubst, gedemütigt und misshandelt von der eifersüchtigen Stiefmutter und deren Töchtern. Mit unterschiedlicher Gewichtung zeichnen beide Choreografen ein Psychogramm von Menschen einer Patchworkfamilie in einer modernen Gesellschaft - sehr subtil und realistisch Breiner, betont stilisiert und wohl auch bewusst plakativ Celis.

Bei ihm reift das einsame Kind zur schönen, jungen Frau - bereit für die Liebe zu einem selbstbewussten Mann. Celis hebt das Märchen auf die Ebene erwachsener Zuschauer. Das funktioniert auch durch die Einfügung von zwei sexy Schlagern aus den 1960er Jahren, wenn die Schönen und Reichen sich im Schloss verlustieren (köstlich das Corps de ballet!). Das kurze Zwischenspiel aus Prokofjews Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ dagegen nimmt Bezug auf die allenthalben herumgereichte (und schließlich vom Vater, Denis Untila, genüsslich verspeiste) Orange als Symbol der Erinnerung.

Yulia Tsoi hat sich längst in die erste Reihe der Essener Ballerinen getanzt. Darstellerisch überzeugt sie in der Titelpartie vor allem als junge Frau in einem spektakulären roten Ballkleid (Kostüme: Catherine Voeffray). Breno Bittencourt, ihr betörend schöner Herzensprinz, springt mit den elegantesten Grands Jetés unter seine Partygäste. Prompt liegen alle Damen ihm zu Füßen. Bis auf die eine... Wenn er sich später auf die Suche nach dieser Traumfrau macht, tragen alle ihre „Doubles“ rot (in einem prachtvollen Divertissement!). Am auffälligsten flirten, flittern und flimmern die Stiefmutter und ihre Töchter im Varieté-reifen Glitzerfummel. Überhaupt ist dieses Trio eine „Nummer“ für sich. Damit ihre Grobheit besonders grotesk und lächerlich wirkt, hat Celis sie mit Männern besetzt. Artur Babajanyan, Liam Blair und Wataru Shimizu machen das einfach grandios. Überhaupt: ein köstliches Balletterlebnis!
 

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