Tanz in Bern
Tanz in Bern

The moving dead

Ein Zuschauer-Blog zu „Sacré Sacre du Printemps“ von Laurent Chetouane

Eindrücke junger Zuschauer zur Vorstellung bei Tanz in Bern

Bern, 02/11/2013

Zombies streifen auf der Bühne umher. Mit glasigen Blicken starren sie sich an, starren ins Publikum; inhaltsleere Roboter mit mechanischen Bewegungen. Gelangweilt drehen sie ihre Kurven. Die Elemente sind präzise und ästhetisch ansprechend gesetzt, doch erkenne ich keine Absicht dahinter. Ein paar der Tänzer sind trotzdem mit Herz bei der Sache und ich schaue ihnen gerne zu. Aber die Botschaft dieser Übung bleibt mir schleierhaft und so ist das größte Opfer bei „Sacré Sacre“ leider meine Zeit.
Gian Leander


3 Frauen, 4 Männer, 3 weiße Wände, 3 Beamer, 4 Aktivboxen, 2 Bassboxen, 123 Scheinwerfer...
einen Esslöffel intensive Orchestermusik
und eine Prise Müdigkeit.
Die perfekten Zutaten, um sich mit dem eindrücklichen Interieur der Dampfzentrale auseinanderzusetzen.
Julian


Starke Energien fließen durch die Körper der durchtrainierten Tanzenden. Die Arme verbinden die Erde mit dem Himmel. Spiralförmig lösen die Darsteller die Verbindung auf und bewegen sich allmählich zu Boden. Bemalte Gesichter sehen sich die zuschauende Menge an. Was wollen sie von mir? Soll ich aufstehen? Die Energie kann ich sehen, aber sie erreicht mich nicht, ich bleibe sitzen.
Linda


Zu Anfang ist es wie ein ungeordnetes Uhrwerk, später vergesse ich diesen Gedanken und erst ganz am Schluss fällt er mir wieder ein. Sie sind zu siebt, jeder so anders als der andere; sie bewegen sich für sich, dann in Formationen, dann scheinbar in einem Durcheinander. Sie schmachten, sie schnappen nach Luft wie ein Fisch, der an Land geschwemmt wurde, sie zittern, sind traurig, wütend, schreien, stöhnen, atmen, blicken sich fragend an. Da sind so viele Emotionen in ihren Augen. Oder? Was geschieht ihnen? Was müssen sie durchleben? Es ist irgendwie ergreifend und nicht greifbar. Blicke zu uns. Manchmal vorwurfsvoll oder fragend oder leer wie von Robotern. Wer sind sie? Wer sind wir? Spüren wir das auch? Manchmal bemerke ich, dass es warm ist, manchmal bemerke ich eine der Leinwände und dass das auf sie projizierte Bild gewechselt hat oder ich bemerke, dass das Licht anders ist. Die Musik nimmt mich mit, mit zu ihnen, aber ich kann nicht da sein - als ob ich gleichzeitig berührt und abgestoßen bin; trotzdem bin ich gebannt - bis auf die letzten vielleicht zwanzig Minuten, die waren wohl zu lang für mich.
Kathi


Theater verfügt über die Lebenszeit von Menschen. Ich fühle mich nach der Vorstellung älter als davor.Ein extrem schlecht gelauntes Urwaldvolk, das fernab unserer Zivilisation von balletttanzenden Störchen aufgezogen wurde, bewegt sich durch seine Welt, in der die Luft dickflüssiger ist als bei uns. Das ist anstrengend für sie, klar. Das macht sie wütend, logisch. Diese Wut ist empfunden, sie ist da. Ca. 20 Minuten lang interessiert sie mich sehr, dann wird sie aber immer egaler, am Ende ist sie nur noch nervig: Ich kann nichts mit ihr anfangen. Ist es das, was mit unserer, meiner Wut passiert? Wohin damit? Diese Frage ist mir ernst. Aber ich weiß genau, in ca. 20 Minuten scheiß ich schon wieder drauf und lass mich gegen die nächste Wand fallen.
Fabian


Im ersten Teil machen sich bei mir zahlreiche Assoziationen breit. Die archaischen Bewegungen der 7 TänzerInnen, die Trommelmusik, ihre Gesichtsbemalungen - das alles erinnert mich an Buschtanz. Sehr schnell assoziiere ich dann aber Heiner Müllers „wenn der Hals zum Schreien zu eng“, wenn die DarstellerInnen wie ohnmächtig und hilflos den Mund öffnen und erfolglos versuchen zu sprechen. Der Mund entsteht mit dem Schrei. Ich fühle mich wie befreit, als der erste Schrei auf der Bühne erklingt und ich hoffe, dass die Figuren aktiv werden, sich aus ihrer Ohnmacht befreien. Doch sie bleiben wie in Trance, wie fremdgesteuert. Trotz der Schreie sehe ich keine Münder.
Anne


Am spannendsten fand ich den Moment als die Musik auf einen Handschlag eines Tänzers an die Stellwand aus ging. Und für gefühlte 15 Minuten auch aus blieb. Die Tänzer bewegten sich wie ein nie aufhörender Organismus, zum Gleichschritt stampfend und mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse und umeinanderkreisend durch den Raum. Es war wie ein Moment Innehalten. Nur noch die Schritte hören und das Fremdgefühl verblasste. Bis sie alle auf dem Boden lagen. Stille. Das war ein sehr schönes Bild und wäre ein guter Schluss gewesen. Außerdem hörten sie in dieser Episode auch endlich auf ihre vermeintlich „traurig/wütenden“ Gesichter aufzusetzen. Insgesamt fand ich die konzentrierte und präsente, ständig in Bewegung bleibende (leider mit Socken) tanzende Gruppe höchst motivierend, selbst los zu tanzen.
Jasmin


„Sacré sacre du printemps“: Applaus, anhaltend, leicht frenetisch und plötzlich trifft mich dieser Blick wieder. Gleich nach der ersten Verbeugung, die rothaarige Tänzerin steht links außen in der Reihe, schaut sie mich quer durchs Publikum schon wieder an. Sehr intensiv.
Die Tänzer/Innen nutzen den ganzen Raum aus, sie bewegen sich zu Musik von Leo Schmidthals oft bis zur Abgrenzung zwischen Bühne und Publikum. Und eben dann ihre intensiven durchlöchernde Blicke. Oft starten sie in der Tiefe des Raumes, links und rechts zwei weiße Wände, kommen sie langsam auf uns zu, der Blick immer fokussiert in eine Richtung. Was ihren Ausdruck verstärkt, sind sicherlich ihre „Kriegsbemalung“ im Gesicht, z.B. zwei schwarze Striche unter den Augen oder nur einen schwarzen Balken um den Mund, letzteres sieht mehr wie eine Gefangene aus.
Nach der dritten Verbeugung zeigen Tänzer/Innen Richtung Lichtpult und dann noch auf mich. Ich überlege einen Moment und drehe mich dann doch um und erblicke Laurent Chétouane!
Jonas


Die tänzerische Leistung ist top, und dennoch verliert sich meine Faszination während der eineinhalbstündigen Aufführung gänzlich. Was auf dieser heiligen Bühne verhandelt wird, ist für mich nicht greifbar und zu einem übermäßigen Teil bedeutungsschwanger - summa summarum: Es gibt mir nichts.
So vieles hätte ich im Verlaufe dieser 90 Minuten tun und erleben können: Ein, zwei Bier trinken, eine Kurzgeschichte schreiben, ein Lied komponieren, einen Kinofilm schauen, bei einer LSD- Messe meine Traumfrau kennerlernen... Mir scheint schon die Zeit, die ich aufbringe darüber zu schreiben als Verschwendung. „Sacré, sacre“ hat es immerhin geschafft mir wieder ein Zitat von Bukowski in Erinnerung zu rufen: „Ich habe nicht vor, mich auf die goldenen Scheißhäuser der Kultur zu abonnieren.“
Nico


Den übermannenden Eindrücken des ersten Stückes am Abend („Your Majesties“) fällt das zweite zum Opfer. Noch immer geflashed kann ich mich nicht auf „Sacre Sacré du Printemps“ einlassen, bekomme mit, dass die, ägyptischen Hieroglyphen ähnelnde Sprache Chétouanes eine Geschichte erzählt, ich sehe aber nicht welche. Erst in der Mitte des Stückes werde ich hineingezogen, auf der Suche nach dem Opfer. Allerdings verliert mich der Abend kurze Zeit darauf wieder...
Melina


Ein hochgelobter Choreograph. Mit Spannung erwarteten wir das Stück „Sacré Sacre du Printemps“, um im Nachhinein etwas unbefriedigt nach eineinhalb Stunden den Saal zu verlassen. Wenn ich während eines Stückes mir Textzeilen für meinen Block überlege, zeigt mir das, dass ich nicht in der Thematik des Stückes versinke.
Ja, eine tolle Durchlässigkeit und eine große Leistung eine Stücklänge wie diese zu meistern. Und doch ist es dann zu viel, zu lang des Guten. Ich erkannte die einzelnen Charaktere des Stücks, fand interessant wie mir einige Tänzer mehr ins Auge von ihren Bewegungen fielen und auch den gut gewählten Einsatz von toller Musik. Ein großes Lob an die Gruppendynamik in diesem Stück, diese brachte eine tolle Energie. Und doch waren mir die Bewegungen zu ähnlich, in sich wiederholend.
Marian


Vor dieser Aufführung hatte ich bereits einige „Sacre du printemps“- Inszenierungen auf YouTube gesehen, die mir einen Zugang zu dieser Inszenierung erleichterten, die ganze Choreographie, wie auch Bühnenbild und Kostüme sehr abstrakt und zurückhaltend waren. Was ich geil fand, war die irgendwie „archaische“ Energie, die von den sich organisch bewegenden Tänzer ausging, die mich zuerst an Pantoffeltierchen aus dem Biologieunterricht und danach an die Szene aus Disneys Dschungelbuch erinnerten, wo Mowgli gegen Shir Khan kämpft, erinnerten. Bei der Kontemplation der Videoinstallation, die ganz verschwommen den Strand einer einsamen Insel zeigte, hätte diese Aufführung auch im Film „The Beach“ mit Leonardo DiCaprio stattfinden können oder noch besser in der Serie „Lost“. Leider ging mir die Aufführung zu lange und ich konnte in der letzten halben Stunde nichts mehr aufnehmen. Unbestreitbar toll fand ich natürlich die Musik von Strawinsky, wobei diese als kleiner Wermutstropfen nur aus Lautsprechern erklingt.
Paulina

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