„Gudirr Gudirr“ von Dalisa Pigram

„Gudirr Gudirr“ von Dalisa Pigram

Der Warnruf des Nachtvogels

Das überragende Solo „Gudirr Gudirr“ mit Dalisa Pigram im Ludwigshafener Pfalzbau

Die australische Künstlerin, selbst mit einheimischen und malaiischen Wurzeln, hat im westaustralischen Broome das innovative Tanztheater „Marrugeku“ gegründet, das die kulturelle Überlieferung australischer Ureinwohner in anspruchsvolle Bühnenprojekte ummünzt

Ludwigshafen, 26/10/2013

Dalisa Pigram geht auf nur einem Bein tief in die Hocke – das andere hat sie ausgestreckt und hackt mit der Ferse drohend auf den Bühnenboden: eine Position, wie sie gegensätzlicher zum tänzerischen Konzept der Überwindung von Schwerkraft nicht sein könnte. Und doch lässt die kleine, zugleich grazil und äußerst kraftvoll wirkende Tänzerin nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie im nächsten Augenblick nach oben schnellen wird, um mit ihren langen, muskulösen Armen ihre Reichweite im Raum zu definieren. Physische Kraft und psychische Energie verbinden sich bei Dalisa Pigram zu einer außerordentlichen Wirkung, die ihr bei der Europapremiere des Solos „Gudirr Gudirr“ im Rahmen der Festspiele im Ludwigshafener Pfalzbau starken Applaus eintrugen.

Die australische Künstlerin, selbst mit einheimischen und malaiischen Wurzeln, hat im westaustralischen Broome das innovative Tanztheater „Marrugeku“ gegründet, das die kulturelle Überlieferung australischer Ureinwohner in anspruchsvolle Bühnenprojekte ummünzt. Für ihr einstündiges Solo hat sich Dalisa Pigram ihre eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen zum Gegenstand genommen. Von der Erinnerung an ihren Vater, an das vielfach bedrohten Leben im Einklang mit der Natur und dem Rhythmus des Meeres, über die Wut auf historische Missachtung, Ausbeutung und Unterdrückung bis zur Trauer über die frappierend hohe Selbstmordrate junger Männer ihres Volkes – die Tänzerin spannt diesen Bogen mit Wut und Zärtlichkeit, Witz und Melancholie, Ärger und Feierlichkeit.

Ihre künstlerischen Verbündeten, Mit-Choreograf Koen Augustijnen (ehemals Hauschoreograf von „Les Ballets C da la B“), Bühnenbildner und Video-Künstler Vernon Ah Kee und Komponist Sam Serruys sind offensichtlich ein starkes, auf Augenhöhe agierendes Team. Die Videoprojektion im Hintergrund setzt auf ruhige, eindringlicher Bilder; Gesichter von Dalisa Pilgrams Familienmitgliedern und künstlerischen Weggefährten bilden Anfang und Ende. Im Vordergrund hängt ein Fangnetz herab, das die Tänzerin mit akrobatischer Raffinesse als Hängematte, Klettergerüst und Vertikalseil nutzt. Durch die Aufführung trägt freilich ihre außerordentliche Bewegungssprache, immer entlang am Rhythmus und emotionalen Drive der Musik. Sie mischt malaiische Kampfmanöver mit Figuren aus den Tänzen der Aborigines, bewegt sich scharfkantig, schnell und präzise.

„Gudirr Gudirr“ ist der Warnruf des Vogels, der die Änderung der Gezeiten ankündigt – wer nicht hören will, muss ertrinken. Dieses Solo beschwört intensiv und virtuos eine verlorene Vergangenheit, eine fragwürdige Gegenwart und eine fragile Zukunft.
 

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